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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0164

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der Kunstgewerbeschulmänner in Preußen hat sich deshalb mit
der Lrage beschäftigt: „wie kann erwerbslosen oder in
ihrer Erwerbsfähigkeit beschränkten Kriegsinvali-
den die Unterrichtsteilnahme in den Werkstätten,
Laboratorien und Lachklassen unserer kunstgewerb-
lichen Lachschulen ermöglich tund erleichtert werden?"
— Die Beratungen verfolgten ausschließlich den Zweck, den
kommunalen und staatlichen Behörden ihre verantwortliche
und schwere Arbeit zu erleichtern und Anregungen für zweck-
mäßige Entschlüsse zu sammeln.

Eine Umfrage bei den einzelnen Ausschußmitgliedern ergab
folgendes Protokoll:

\. Im Lazarett und Genesungsheim sowie in der weiteren
kfeilfürsorge ist zunächst darauf hinzuarbeiten, daß mit Be-
rücksichtigung des betreffenden Gewerbes ein Maximum der
Gebrauchsfähigkeit der kranken oder verstümmelten Glieder
erreicht wird — ev. durch Verwendung von kfilfsapparaten
(Prothesen).

2. Lachschulbildung soll nur überall da eintreten, wo sie sach-
lich geboten und dadurch eine Steigerung der Lrwerbsfähig-
keit möglich erscheint. Voraussetzung ist in jedem Lalle die
Arbeitsmöglichkeit in der Praxis.

z. während gering beschädigte Kriegsteilnehmer ohne be-
sondere Schwierigkeiten in ihren früheren Beruf wieder ein-
treten können, werden Schwerverletzte, die Gliedmaßen oder
Teile derselben, einzelne Sinne usw. verloren haben, in die
Notwendigkeit versetzt sein, sich entweder in demselben Berufe
zu spezialisieren oder sich für einen neuen Beruf auszubilden.

4. Die kunstgewerblichen Lachschulen in Preußen erscheinen
mit ihren eingerichteten Werkstätten, Laboratorien und Lach-
klassen geeignet, die Lortbildung sowie die Neuausbildung
zu übernehmen.

5. Bedingung für die Aufnahme ist normale Begabung;
wünschenswert ist eine erkennbare Befähigung in einer kunst-
gewerblichen Richtung, die in zweifelhaften Lallen durch
eine Probezeit in der Lachschule festzustellen wäre.

6. Ls ist wünschenswert, daß die Erleichterung der Unter-
richtsteilnahme bestehe:

a) in völligem Schulgelderlaß mit freiem Unterrichtsmaterial;

b) in Geldunterstützungen bei nachgewiesener Bedürftigkeit.

c) von einer Lehrzeit in dem betr. Berufe soll abgesehen
werden können in den Lallen, wo die Schule in ihren
Werkstätten die Meisterlehre ersetzen kann.

ct) In bezug auf die Gesellen- und Meisterprüfungen werden
Sonderabkommen mit den in Betracht kommenden Be-
hörden zu treffen sein.

e) Es soll auch Gelegenheit geboten werden, Lücken in der
allgemeinen Bildung auszufüllen, und zwar durch Teil-
nahme am elementaren und wissenschaftlichen Unterrichte.

7. Die Aufnahme erfolgt nach gewissenhafter ärztlicher und
beruflicher Beratung. Letztere geschieht durch Schul- und
Lachleute der nächsten erreichbaren kunstgewerblichen Lach-
schnle. Die Prüfung, ob der Betreffende zur Lörderung in
der Anstalt geeignet erscheint, verbleibt der Schulleitung.

8. Eine zu errichtende Zentralstelle übernimmt:

a) in zweifelhaften Lällen die Überweisung an die geeig-
neten Schulen,

b) die Leststellung vorhandener Arbeitsmöglichkeiten für
kunstgewerbliche ^Werkstätten, Industrien und Heimarbeit,
sowie der dafür geforderten zeichnerischen und handwerk-
lichen Verrichtungen,

c) nach Möglichkeit die Leststellung der üblichen Lohnhöhe
und

d) soweit als tunlich die Überweisung in vorher ermittelte
Arbeitsstellen.

9. Da für den Aufzunehmenden die eigene Anschauung und
Kenntnis des Berufes in jedem Lalle wünschenswert erscheint,
soll die Zulassung zum Unterricht so früh wie möglich, am besten
schon in der Genesungszeit erfolgen. Es wird dadurch dem
Invaliden neben der Übung im Gebrauch des geschädigten
Gliedes geistige Anregung geboten.

\o. Abgesehen von Einzelkursen für eine bestimmte Art von
Kriegsverletzten, wie z. B. der in Dresden stattfindende Kursus
für einarmige Zeichner, sind die Invaliden ihrem Können ent-
sprechend in die bestehenden Hilfsklassen, Lachklassen und
Werkstätten einzureihen.

tv Der Aufbau des Unterrichts wird in den meisten Lällen
zunächst auf die Erzielung sachlicher Anforderungen der Hilfs-
arbeitsleistung hinauslaufen müssen. Nach Bedarf werden
Ergänzungskurse folgen zur Weiterentwicklung und zur Stei-
gerung der Arbeitsfreudigkeit.

\2. Empfehlenswert dürften auch Semesterkurse in bestimmten
Techniken für solche Kriegsinvaliden sein, welche hauptsächlich
für beschränkte werkstattarbeit und für kunstgewerbliche Heim-
arbeit in Lrage kommen. Als solche seien hier genannt: In-
tarsien- und Schablonenschneiden, Einlegearbeiten in Leder,
Uletall, Schildpatt, Perlmutter usw., dekorative Knüpf-,
Stickerei-, Näh- und Webearbeit, Batik, Bemalung von Por-
zellan-, Steingut-, Töpfer- und Glaswaren, von Span- und
Holzwaren, Kunstschrift und Plakatschreiben, Schilderkunst,
Monogramm- und Stempelschnitt, Modellieren, Holz- und
Elfenbeinschnitzen, Kunstbuchbinderei, Galanterie- und Papp-
warenarbeit, Papierausstattung und Gebrauchslithographie,
Akzidenzsatz und moderne Reproduktionsverfahren, Bleiver-
glasung, Glasschleifen, -schneiden und -gravieren, Leinmetall-
arbeiten, wie Llach- und Reliefgravieren, Ziselieren, Email-
lieren, Niellieren usw.

H3. Nach dem letzten Berichte des Kgl. Landesgewerbeamts
zählen zu den kunstgewerblichen Lehranstalten in Preußen
folgende Schulen:

Die Kunstgewerbe- und Handwerkerschulen (oder ähnl. Be-
zeichnung) zu Aachen, Altona, Barmen, Berlin, Bielefeld,
Breslau, Bromberg, Tassel, Lharlottenburg, Löln, Lrefeld,
Dortmund, Düsseldorf, Elberfeld, Erfurt, Essen, Llensburg,
Lrankfurt a. M., Halle a. S., Hannover, Hildesheim, Kiel,
Königsberg, Magdeburg, Trier mit ihren verschiedenen Spe-
zialabteilungen sowie die kunstgewerblichen Sonderfachschulen
zu Bunzlau und Höhr (Keramik), Zeichenakademie Hanau
(Edelmetallindustrie), Solingen (Stahlwarenindustrie) und
Warmbrunn (Holzschnitzerschule).

Lür begabte invalide Kunstgewerbler, welche bereits eine
mehrjährige praktische und theoretische Ausbildung an Kunst-
gewerbeschnlen hinter sich haben, soll eine Erleichterung des
Besuchs des Gewerbelehrerseminars in Berlin ins Auge gefaßt
werden.

Es bleibt zu hoffen, daß unsere kunstgewerblichen Lachschulen
durch kräftige Unterstützung der Kriegsgeschädigten in den bei
ihnen gepflegten Berufen ein kleines Scherflein der unermeß-
lichen Dankesschuld abtragen können, die auf unserem Vater-
lande liegt. Eifrig und gern wollen sie helfen, jenen Unglück-
lichen, welche in dem gewaltigen Völkerringen ihr Blut für
deutsches Wesen und deutsche Kultur vergossen, ihre gesunden
Sinne und Gliedmaßen und damit ihre volle Erwerbsfähigkeit
verloren haben, ihr weiteres opferreiches und trauriges Dasein
zu erleichtern.

Prof. wilh. Krause, Breslau.

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verantw. Redakteur (ausgenommen Anzeigeteil): Alexander Heilmeyer. — Herausgegeben vom Bayer. Aunstgewerbeverein. — Druck und Verlag

von R. Dldenbourg München.
 
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