Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

DOI Artikel:
Steinlein, Stefan: Wandlungen in der Architektur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0224

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
glänzender dialektischer Gabe und treffsicherer Ge-
wandtheit die innere Hohlheit und künstlerische Ohn-
macht jener Größen der bewunderten französischen
Dichtung. In der griechischen Kunst, in der Antike,
sah er gleich andern seiner Zeit die Vollkommenheit,
das Ideal, dem nachzustreben war.

So oft im Laufe geschichtlicher Perioden die Kunst
der Hellenen auf die Geschlechter anderer Herkunft
wirkte, glaubte man in jedem besonderen Falle,
den „Geist der reinen Antike" erfaßt zu haben.
Mb es die Zeiten des mittelalterlichen Humanis-
mus waren, jene des französischen Klassizismus
oder der Lessingschen Ara und winckelmanns, immer

Gehör, als daß wir es anders finden sollten; lieber
wollen wir Plumpheit für Ungezwungenheit, Frech-
heit für Grazie, Grimasse für Ausdruck, ein Ge-
linge von Reimen für Poesie, Geheule für Musik
uns einreden lassen, als im geringsten an der
Superiorität zweifeln, welche dieses liebenswürdige
Volk, dieses erste Volk in der Welt, wie es sich
selbst sehr bescheiden zu nennen pflegt, in allem,
was gut und schön und erhaben und anständig ist,
von dem gerechten Schicksale zu seinem Anteile er-
halten hat."

Als Lessing seine Dramaturgie schrieb und seine
Kämpfe gegen fremdländisches Wesen in anderen

glaubte man alles zu besitzen was Hellas einst be-
saß, es im Geiste und in der Wahrheit sich zu eigen
gemacht zu haben. Noch Böttcher und seine An-
hänger glaubten dies, als er im ersten Drittel des
vergangenen Jahrhunderts seine rein spekulative
„Tektonik der Hellenen" schrieb, eine ungeheuer
gelehrte Arbeit, die kaum geleistet, dem nachgebore-
nen Geschlecht schon nichts mehr bedeutete.

Zu Ende der sechziger Jahre des t8. Jahrhunderts
schrieb Lessing noch in seiner „Hamburger Drama-
turgie": „wir sind noch immer die geschworenen
Nachahmer alles Ausländischen, besonders noch
immer die untertänigen Bewunderer der nie genug
bewunderten Franzosen; alles was uns von jen-
seits dem Rheine kommt, ist schön, reizend, aller-
liebst, göttlich; lieber verleugnen wir Gesicht und

Schriften ausfocht, waren die Deutschen nichts
weniger als eine Nation, kaum daß wenige sich
nach Goethes späteren Worten auch nur „Fritzisch"
fühlten. Frankreich besaß stärkstes Nationalbewußt-
sein und seinen Stil. Es verdankte seiner politi-
schen Vorherrschaft, seiner völkischen Geschlossenheit,
auch in Dingen des Geschmackes seine Macht über
jenes Deutschland, das nach dem Dreißigjährigen
Kriege von Frankreich her dauernd bevormundet
und von ihm in kulturellen Dingen abhängig ge-
worden war. Ls war indes nicht nur Deutschland,
das zu jenen Zeiten in diesem Verhältnis zu
Frankreich stand; das „erste Volk der Welt", das
Frankreich tragischerweise heute noch immer zu
sein glaubt, war damals Vorbild für einen großen
europäischen Kulturkreis; die Abhängigkeit von
 
Annotationen