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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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Steinlein, Stefan: Wandlungen in der Architektur
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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0228

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auch der £jof des Kaisers durchaus romantisch-
mittelalterlich; der Architekt, einer der Romantisch-
Altdeutschen, spricht seinen Paß gegen alles Klassische
aus, als vor dem Kaiser im Rittersaal der griechi-
sche Tempel auftaucht; zuvor spricht der Astrolog:

„Durch tvunderkraft erscheint allhier zur Schau,

Massiv genug, ein alter Tempelbau.

Dem Atlas gleich, der einst den Himmel trug,

Stehn reihenweis der Säulen hier genug;

Sie mögen wohl der Felsenlast genügen,

Da zweie schon ein groß Gebäude trügen."

Unwirsch ruft der Architekt:

„Das war' antik! ich wüßt es nicht zu preisen,

Ls sollte plump und überlästig heißen.

Roh nennt man edel, unbehilslich groß.

Schmalpfeiler lieb' ich strebend, grenzenlos;
Spitzbögiger Zenit erhebt den Geist;

Solch ein Gebäu erbaut uns allermeist."

* *

*

Löst man die einzelnen kulturell bedeutsamen Er-
scheinungen des vergangenen Jahrhunderts, die
Denker, Dichter, Maler oder Architekten, aus dem
allgemeinen und besonderen geistigen und sozialen
Gefüge der Epochen, wie dies oft genug geschah
und noch geschieht, dann kommt jene zeugungsarme
Form des Urteils zustande, die an der Einzel-
erscheinung auszusetzen und zu bemängeln findet,
was letzten Grundes doch nur Anteil und Wir-
kung der Zeitbedingtheit in irgendwelchen Formen
ist. Nach den Befreiungskriegen sollte in Berlin
als ihr würdigstes Denkmal jener gotische „Dom"
erbaut werden, zu dem Schinkel die Pläne

entwarf. „Der preußische Staat war indes nicht
der rechte Boden für die Romantik, zum mindesten
nicht in Berlin". — — „Und Berlin war doch
wahrlich mehr der Platz, an dem man der Befrei-
ung von der Fremdherrschaft ein Denkmal natio-
naler Dankbarkeit gegen Gott setzen sollte, als Köln."

August Wilhelm Schlegel war der Vater des Ge-
dankens, den Kölner Dom als Dankopfer für die
Befreiung des deutschen Volkes aus französischer
Knechtschaft aufzurichten. Seit H807 hatte Sulpiz
Boisseree zur Erneuerung der ehrwürdigen Ruine
gedrängt, da trat lMH Görres auf: Man könne
nicht mit Ehren ein anderes prunkendes Werk be-
ginnen, bis man dieses zu seinem Ende gebracht.
Lin ewiger Vorwurf stehe der Dom vor unfern
Augen. Als seine Bauleute sich verliefen, habe
Deutschland der Fluch der Schande und der Erniedri-
gung getroffen. In seiner trümmerhaften Unvol-
lendung sei er ein Bild deutscher Verwirrung.
Der Ausbau des altdeutschen Bauwerkes wurde zu
einer „nationalen" jahrzehntelangen Angelegenheit
und zu einem der bemerkenswertesten Kapitel deut-
scher Unmöglichkeit, sich als Einheit zu fühlen und
zu erweisen, während die Arbeiten am Kölner
Dom ihren wunderlichen Gang nahmen, wurde in
Bayern durch Ludwig I., am Tag der Völker-
schlacht bei Leipzig, am f8. Oktober H8S0, der
Grundstein zur Walhalla gelegt; der f8. Oktober
H842 sah die feierliche Vollendung des antiken
Bauwerkes, als einem Ort des Andenkens berühmter
deutscher Männer und Frauen.

Norddeutschland und die mittleren Staaten ver-
hielten sich abwehrend gegen dies Monument für
Deutschlands Größe und Einheit; sein plan sei
weder den Bundesfürsten noch einem Areopag
der Nation Vorgelegen, wäre dies geschehen: ja,
dann wäre der griechische Tempel, der dort
neben der bischöflich regensburgischen Ruine Donau-
stanf und dem Schloß des Reichspostmeisters Thurn
und Taxis sich erhebt, wohl geeignet gewesen,
deutschem Volkstum zum Ausdruck zu dienen.—
Das protestantische Deutschland und katholische Geg-
ner Roms sahen in der Aufrichtung des Kölner

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