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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 75.1925

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Kleine Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0018
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barsten Zeiten die Entscheidung in der Hand der berufensten
Künstler gelegen hat. Und im Interesse der Kunst wäre es sehr
gelegen, wenn man das nicht vergessen wollte.

Das bayer. Kunstgewerbe im Jahre 1924. Der Bayer.
Handels» und Industriezeitung, die seit Herbst wieder in jeder
Nummer die „Mitteilungen für Kunst und Kunstgewerbe"bringt,
entnehmen wir folgenden Rüdeblick auf das vergangene Jahr:

Ein Rückblick auf das vergangene Jahr ist für den Kunstge»
werbler nicht erfreulich, wenn man die bestehenden Tatsachen für
sich betrachtet. Man wird dabei feststellen können, daß dieses
Jahr reicher war als andere an enttäuschten Hoffnungen, daß es
uns mehr fühlbares Elend gebracht hat als die große Mehrzahl
vergangener Jahre. Es war das erste Jahr der Stabilisierung und
die meisten begannen es mit dem befreienden Gefühl, daß das
Hauptübel der Nachkriegszeit nun hinter uns läge und neues
Leben aus den Ruinen blühen müsse. Aber die Krankheit, die
wir seit fünf Jahren durchmachen, nahm einen anderen Verlauf.
Während wir die schwersten Krisen in dem wohligen Taumel
des Narkotikums „Papiergeld"durchgemachthaben, ist dieRekon»
valeszenz durch die schwersten Hemmungen belastet, und wird
durch Schwächung und Ernüchterung gekennzeichnet. Wenn wir
hier schon einmal nur von der wirtschaftlichen Seite des Kunst-
gewerbes sprechen wollen, so weist diese alle die Nöte und Be»
schwernisse auf, die wir bei anderen Erwerbszweigen auch finden,
Kapitalnot, Kreditnot und Absatzstockung, Dinge, die teils aus
der Inflation, teils mit der verhältnismäßigen Übervölkerung
unseres an Boden verstümmelten Reiches ihren Ursprung her»
leiten. Darüber hinaus ist aber das Kunstgewerbe noch ganz be»
sonders durch gewisse Nachkriegserscheinungen bedrüdu, die
man in anderen Arbeitsgebieten weniger oder gar nicht findet.
Die Abhängigkeit von Geschmack, der Bedarf an hochgeschulten
Kräften, und damit die Verkettung mit einer jahrzehntelangen
Entwicklung der Handwerkskunst, alle diese Umstände haben
das Kunstgewerbe im Sturm dieser bewegten Zeiten mehr zu
Boden geworfen als andere Erwerbsgruppen. Nach dem Kriege
wurde das Kunstgewerbe zu einer Angelegenheit der Kapital»
anläge, neuer Reichtum zog es zur Befriedigung absonderlichen
Schmuckbedürfnisses heran, das Ausland erraffte zu Inflations»
preisen, was erreichbar war, und neben dem damit verbundenen
Kapitalverlust des einzelnen trat eine erschreckliche Vermehrung
der Werkstätten und damit eine ganz bedenkliche Herabsetzung
der Leistungen in geschmacklicher und technischer Beziehung ein.
Dazu kam das Heer von verarmten Gebildeten beiderlei Ge»
schlechts, die im Kunstgewerbe eine angemessene Verdienstmög-
lichkeit suchten und, größtenteils ohne Vorkenntnisse, mehr einen
kurzfristigen Gewinn als eine Hebung des Niveaus anstrebten.
Mit Schaudern erinnern wir uns, was alles unter „Kunstgewerbe"
ging, wie vom Lebensmittelhandel und anderen Branchen Un-
kundige herüberkamen und kapitalkräftig am guten Ruf der
heimischen Arbeit Raubbau trieben. Der Kunstgewerbler im
besseren Sinne sah sich deshalb mit Eintritt der Stabilisierung
nicht nur vor leerem Rohstofflager, leerer Kasse und ohne Auf»
träge, er stand auch einer künstlerisch wertlosen, aber zum Teil
recht betriebskräftigen Konkurrenz gegenüber und mußte er»
kennen, daß das alte Ansehen seiner Arbeit draußen und her»
innen schweren Schaden genommen hatte.

Mit diesen aus der Inflationszeit überkommenen Mißständen
trat man das Jahr 1924 an und sie gaben dem vergangenen Jahr
den wenig erfreulichen Grundton. Freundlicher wird aber das
Bild, wenn wir nicht die Dinge, sondern deren Bewegung, wenn
wir nicht die Tatsachen allein, sondern die Entwicklung be»
trachten, die sich, wenn auch noch ganz schwach, so doch kaum

verkennbar darin ausprägt. Wie trotz allen Elends im all»
gemeinen Wirtschaftsleben ein Zug der Gesundung nicht über»
sehen werden kann, so zeigt auch das Kunstgewerbe deut»
liehe Ansätze der Reinigung und Kräftigung. Die Gelegenheits»
Unternehmer sind teils durch Zusammenbruch, teils durch ander»
weitige bessere Verdienstaussichten wieder verschwunden, was
an neueren Betrieben zurückblieb, hat längst erkennen müssen,
daß es jetzt nur mehr mit tüchtigen Leistungen geht. Und daran
ist neben der gesunkenen Nachfrage auch die zweifellos im Fort»
schreiten begriffene Läuterung des Geschmacks beim kaufenden
Publikum schuld. Die größten Mißstände sind ja schon dadurch
behoben worden, daß jetzt die kunstgewerbliche Arbeit, die man
kauft, wieder als solche Verwendung findet, daß also die künst-
lerische Qualität gegenüber der werterhaltenden Eigenschaft über»
haupt wieder Beachtung findet. Außerdem hat sich aber mit der
Konsolidierung unserer Zustände ersichtlich auch der Geschmack
wieder nach der gediegenen Seite zu verlagert, man ist mehr und
mehr davon abgerückt, die Kunstleistung nur in der Neuheit, in
der Ableugnung alles Dagewesenen, in der Bahnbrecherei um
jeden Preis zu sehen. Weite Gebiete„kunstgewerblichen"Schaffens
der letzten Jahre haben sich um diese Läuterung des Geschmacks
ein unbewußtes aber auch unbestrittenes Verdienst erworben.
Es kann aber nicht geleugnet werden, daß in der Inflations»
zeit mit ihrem wahllosen Kaufdrang auch die Leistungen einer
Reihe von guten Werkstätten nachgelassen hatten, das hing
u. a. mit der Knappheit an tüchtigem Personal zusammen. Der
Umschwung nach der Stabilisierung hat letzteren Mangel behoben,
auch hat die Absatzkrise von selbst wieder zu voller Anspor»
nung der Kräfte geführt.

Diese ganze sich kaum merklich aber am Ende doch erkennbare
Entwicklung darf zweifellos als Läuterung und Gesundung ge»
wertet werden. Begeben wir uns aber vom wirtschaftlichen auf
das künstlerische Gebiet und betrachten wir den Kampf der
Meinungen im Großen, so fehlt es auch hier nicht an hoffnungs»
vollen Anzeichen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wogt das
Ringen zwischen Evolution und Revolution im Kunstgewerbe,
zwischen denen, die in Wertschätzung der Tradition sich eine
neue Blüte ohne Pflege der Wurzeln nicht denken können und
jenen, die den Blick unverwandt in die Zukunft gerichtet, die
Blüte aus sich selbst entwickeln wollen, womöglich ohne Stamm,
jedenfalls ohne Wurzeln. Dabei wurde übersehen, daß seit langem
dieser Meinungsstreit schon nur mehr von den Extremisten ge-
führt wird, die mit ihrem Lärm den Tag beherrschen. Es ergab
sich, ohne daß das hinreichend erkannt wurde, ein Bild, wie in
unseren Parlamenten, wenn Kommunisten und Völkische mit
Lärminstrumenten und Pultdeckeln diejenigen an aufbauender Ar»
beit hindern, die allenfalls wirklich etwas Tüchtiges leisten könnten.
Gewiß, über dem Streit der Flügel hat die Mitte beiderseits des
Trennungsstriches die ganze Zeit nicht unterlassen, gute Arbeit
zu machen, sie hat sich aber allzusehr in geteilten Lagern von
den Ultras führen lassen, hat über Parteiprogrammen, Dogmen
und Prinzipienreiterei das Wesentliche fast vergessen, was sie eint.
Daß der Reichsdeutsche, wie von altersher bekannt, weit mehr
zu solchem Streit um die Theorie veranlagt und weit gründlicher
in seiner Durchführung ist, als andere Völker, ist einmal eine
Tatsache, über die man nicht hinweggehen kann. Auf keinem
Gebiet mag aber der unentwegte und bis in die letzten Konse»
quenzen getragene Kampf um die Theorie so überflüssig, ja so
widersinnig sein, wie auf dem der Kunst, deren Geschichte so
reich ist an Widersprüchen aller Art und deren Entwicklung
immer wieder über die schönsten und so klar herausgearbeiteten
Grundsätze hinweggeschritten ist.

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