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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Editor]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 75.1925

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Kleine Mitteilungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0019
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Es ist bemerkenswert, wie deutsche Kunstgewerbler aller Rich-
tungen immer sehnsüchtige Blicke nach Wien gerichtet haben und
wie das dortige neuzeitliche Kunstschaffen von den verschie-
denen Parteien als Vorbild hingestellt wird. Es sieht eben jeder
aus den Wienern heraus oder in sie hinein, was er vor seinen
Wagen brauchen kann. Von direkter Beeinflussung noch gar
nicht zu reden. Wenn man aber unvoreingenommen und genau
hinsieht, dann haben es eben die Wiener einfach verstanden, das
was brauchbar und tragfähig ist an den neuen Theorien mit ihrer
eigenwüchsigen Art zu verarbeiten. Wien ist im letzten Viertel-
jähr mit einem sehr bedeutungsvollen Bekenntnis hervorgetreten-
Der dortige Kunstgewerbeverein hat anläßlich seines 40jährigen
Bestehens eine Jubiläumsausstellung veranstaltet, in der wir
gleichgerichtete Vertreter beider Lager in einmütigem Schaffen
vereinigt finden. Es gibt Leute von Urteil, die diese Kundgebung
als den Schlußstein einer 20 jährigen Entwicklung einstufen.
Zweifellos zeigt das Gebotene, das sich von jeder Lehrhaftigkeit
freihält und abseits von Theorie und Prinzipien, Schönheit und
Liebenswürdigkeit atmet, eine Verschmelzung des Neuen, Frischen
mit der bodenständigen Art. Die alte Freude am Prunk, die dort
einmal heimisch ist, konnte auch so überzeugenden Theorien gegen-
über nicht das Feld räumen, aber man hat das Alte, was unwesent-
lich war, restlos abgestreift und die neuen Elemente in sich aufge-
nommen und verarbeitet. Eingeborener Formensinn und Treue
zur Scholle haben daraus eine eigenartige, menschlich beseelte
Kunstrichtung entstehen lassen, die über allen Streit hinweg jeden
Beschauer für sich einnimmt. So haben gute und beherzigenswerte,
ja notwendige Lehren, die anderwärts, mit dem Intellekt und dem
Organisationstalent aufgegriffen, zur Erstarrung und Kälte ge-
führt haben, in der gemütvollen Donaustadt den Anstoß zu er-
neuter und doppelt nachdrücklicher Betonung heimischer Eigen-
art und damit zu künstlerisch fruchtbarer Arbeit gegeben.

Wien zu imitieren hat natürlich keinen Zweck, der Wiener
Einfluß auf manches reichsdeutsche Schaffen hat ohnehin schon
da und dort mehr Schaden als Nutzen gebracht. Es wird uns,
wenn wir Ganzes wollen, nicht erspart bleiben, aus uns selber
die Synthese zwischen Vergangenheit und Zukunft zu finden
und den Fortschritt vom gegebenen Boden aus zu erringen. Aber
wenn wir schon mit Freude und berechtigter Bewunderung auf
das Wiener Kunstschaffen hinübersehen, so wollen wir doch auch
zu erkennen versuchen, worin unser Abstand liegt. Auch bei uns
wird Gutes und Bestes gearbeitet, aber es fehlt die Einigkeit und
Einheitlichkeit, Wien ist ein Begriff, anderwärts gibt es so viele
Begriffe als Meister. Und diese Zersplitterung unserer Produktion
verhindert es, daß sie sich Geltung verschafft und sich durchsetzt.
Weder Bevormundung noch Verbrüderung werden das ändern
können, es ist eine Entwicklung, die sich von unbekannten und
unlenkbaren Kräften getrieben in sich selbst auswirken muß, und
ebenso wenig durch irgendwelche organisatorischen oder didaks
tischen Maßnahmen beschleunigt werden kann, wie die Bildung
eines Stils. Aber ein Trost und eine Zuversicht liegt für uns darin,
wenn wir im Rückblick auf das abgelaufene Jahr feststellen, daß
nicht nur die Läuterung und Gesundung, sondern auch dieKlärung
im Wollen, die Geschlossenheit im Schaffen Fortschritte gemacht
haben. Der Streit flaut merklich ab, sein Ergebnis wird da anders
sein als dort, überall aber kommt es zu einem Hervortreten der
zielbewußter gewordenen gemeinsamen Mitte gegenüber den ex-
tremen Flügeln, die Anreger, Rufer im Streit, aberniemals Führer
sein können und sein werden. Die kunstgewerbliche Entwicklung,
auch im Reich, hat von allzu stürmischen Abwegen zurückgebaut
und sich von dem Ziel des Neuen um jeden Preis, ebenso wie von
starrer Rückständigkeit her nach der Mitte, einer entwicklungs-

fähigen Gebrauchslinie zusammengeschlossen. Wo kunstgewerb-
liche Tradition vorhanden, bringt diese allmählich ihr eigenes Wesen
zur Geltung und es entsteht eine Richtung des Schaffens, die ein be-
fruchtendes Gleichgewicht zwischen altem Schönheitssinn und neuer
Formensprache sucht. Hoffen wir, daß die Einigung kunstgewerb»
lieber Verbände, deren förderliche Wirkung in diesen Zeiten der
Not doppelt zu begrüßen ist, nachdem sie einmal angebahnt ist
und die für ihr Gedeihen nötigen Grundlagen vorfindet, weitere
Fortschritte macht und aus dem zähen Ringen, nicht durch Nach«
giebigkeit oder Verwässerung, sondern durch Klärung und Läu-
terung, durch Abwendung von Streit um die Theorie und durch
Entschluß zu aufbauender Tat wieder ein einheitlicheres Schaffen
sich entwickelt, wie es Voraussetzung ist für eine neue Blüte auch
des bayerischen Kunstgewerbes.

Produktive Kritik und Künstler. Die „Frankfurter Zei-
tung" hat ihren Berliner Kunstkritiker gewechselt. Paul West-
heim, der dort seit 12 Jahren das Berliner Kunstreferat versah,
erhielt seinen Nachfolger in Julius Meier-Graefe. Das geschah
mit einer so eigentümlichen Begründung, daß sich eine Anzahl der
hervorragendsten deutschen Künstler veranlaßt sahen, sich an die
Seite des Kritikers Westheim zu stellen. Ein Protest, den sie
dem Frankfurter Blatte sandten, ist unterschrieben von den Archi-
tekten Poelzig, Bruno Paul, Paul Mebes, Oskar Kaufmann, Ar-
thur Korn,- Altred Gellhorn, O. R. Salvisberg, den Malern Dix,
Groß, Heckel, Hofer, Kirchner, Kokoschka, Meidner, Otto Muel-
Ier, Nauen, Nolde, Bechstein, Schmidt-Rottluff, den Bildhauern
Beding, Kolbe und Scheibe. Die Künstler schreiben:

„Paul Westheim ist von der „Frankfurter Zeitung" das Ber-
liner Kunstreferat entzogen worden. Die Begründung lautet:
ein so ausgesprochener Standpunkt, wie Westheim ihn vertreten
habe, und der für die Entwicklung des modernen deutschen Kunst-
lebens nicht unwesentlich geblieben sei, eigne sich vorzüglich für
eine Zeitschrift, nicht aber für eine Zeitung. „Das Kunstblatt"
sei infolgedessen auch ein „Musterbeispiel" solcher produktiven
Kritik." Demgegenüber wird dem schon eingestellten Nachfolger
Meier*Graefe „die größere Variabilität" nachgesagt. Ohne auf die
Anschauungen der beiden, die sie allein zu vertreten haben, hier
einzugehen, legen wir Verwahrung ein dagegen, daß eine große
und angesehene Zeitung der Meinung Ausdruck gibt, produktive
Kritik sei für die Zeitung nicht geeignet. Wir als Künstler ver-
mögen nur eine Kritik anzuerkennen, die produktiv ist und pro-
duktiv sein will-"

Auch der Verband deutscher Kunstkritiker hat sich, zum Schutze
der allgemeinen Berufsinteressen und darüber hinaus der kultu-
rellen Interessen mit der Angelegenheit beschäftigt und gegen die
Handlungsweise der „Frankfurter Zeitung" Einspruch erhoben.
Der Verband glaubt es, wie es in seiner Stellungnahme heißt,
„nicht widerspruchslos hinnehmen zu können, daß durch den plötz-
lichen Richtungswechsel, wie er jedem Politiker mit Recht verübelt
wird, eine systematische kritische Aufbauarbeit jählings des-
avouiert und dergestalt nicht allein ein persönliches Interesse
schwer verletzt, sondern überhaupt das Ansehen unerer gesamten
Berufsarbeit empfindlich beeinträchtigt wird." — Meier-Graefe,
der sich genötigt sah, der „Frankfurter Zeitung" das Referat
wieder zur Verfügung zu stellen, hat inzwischen seine Tätigkeit
begonnen.

Die Deutsche Kunst» und KunstgewerbesAusstellung in
Brasilien an der auch der Bayerische Kunstgewerbeverein be-
teiligt war, ist am Neujahrstag in Sao Paolo geschlossen worden.
Das deutsche „Tageblatt für Brasilien" schreibt hiezu: „Wir Deut-
sche können stolz sein auf diese erste geschlossene Veranstaltung,

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