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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 2.1867

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Eine "angeblätterte Seele"
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https://doi.org/10.11588/diglit.4906#0032

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30

Säulen des Vestatempels zu Tivoli sieht ihm aus „als
ob ein Bettler auf einem König ritte" (S. 91). Als er
zum ersten Mal die Juno Ludovisi sieht, ist ihm „die
Erfülluug eiues leidenschaftlich gehegtcu WuuscheS eiue
Aufreguug ohne Gleicheu. Erste Liebe reicht kaum an
die Wonne solcheu Glückcs" (S. 22). Und da er die
Decke Michelangelo's in der Sistina erblickt hat, weiß er,
daß alle Rosenstundeu seines künftigen Lebens unter ihr
Gottesdienst halten werden (S. 110). „Jch wäre ein
ganz glückliches Geschöpf," sagt er uns einmal, „wenn
ich mit meinen Augen riechen und mit nieiner Nase sehen
könnte" (S. 4). Oder: „Jch üeße mir gern einmal den
Apoll vorspielen, wie ich gern einmal die neunte Sinfonie
als Freske Ubersähe" (S. 121). Eine besondere Virtuo-
sität zeigt eine große Anzahl moderner geistreicher Schrift-
steller darin, Bilder falsch anzuweüden oder sinnlos mit-
einander zn vermengen. Unser Satiriker läßt seinen
Helden auch darin das Außerordentliche leisten. Ein
Cylinderhnt, den auf dem Carneval ein Hagel von Gips
getroffen, gleicht bei Herrn Louis Ehlert eincm „zerstörten
Jugendtraum" (S. 200). Die schöne Stella, ein rö-
misches Modell, vergleicht er mit einem Stern, der hin-
ter schmutzigen Wolken reinlich hell hervvrtritt (S.
134). Ein Maß von völligem Ransch treibt ihm das
Blut zum Herzen (S. 15) und ein geistreicher Frennd
macht ihm eine frugale Mahlzeit dnrch die Lauge
seiner Satire zum üppigen Banket (S. 127). Jm
Exkönig Franz II. erscheint ihm die jammervolle Jmpotenz
des Legitimitäts-Prinzips in ihrer mitleidswürdigsten —
Fadenscheinigkeit (S. 31).

Das Glänzendste leistetHerrEhlert aber, wenn erland-
schaftliche Schildernngen entwirft. Jhn schaut „der Wald
so tugendhaft kühl und grün an, und sinkt die Sonne, so
schimmern die Wolken darüber wie keusche Träume" (S.
21). Louis Ehlert läßt den Schnee der Berge der Abend-
sonne zublinzeln, und die Enharmonik der Dämmerung
ihre räthselhaften Akkorde am Himmel weben (S. 112,
113). Als er im November einen Ausflug nach Frascati
macht, schlägt sein kindisches Herz hcimtich sein Sonimcr
zelt auf (S. 122). Ein andermal giug „die Sonne blut
roth nnter und tanchte die Steinmasseii in drohendes Licht.
Eine Beleuchtung, als wären Convent und Guillotinc im
Spiel" (S. 140). Bei Neapel heißt cs : „Wollnstzitternd
liegt das blaue Meer an diesen Busen hiugegossen. Die Luft
von Seufzer und Kuß ein süßes Gewebe. Die Farben
von seligem Hauch getränkt. Die Formen ein Neigen
und Beugen. Gesättigt rund jegliche Bildung. Ein
Duft, halb Meer, halb tausend Blumen. Man dcnkt
an Cleepatra, wie sie im Liebesrausch all' ihre Reize ent-
hüllt. Nun erst Sorrent. Jch sah es bci Bollmond.
Welch' ein Lockcn vou Himniel und Erde. Der Lcuz
schlug seiue ersten Lieder von allen Bäunien, heiße quellcnde
Lieder: dazwischen glühten und dufteten die Orangen,

auf die der Mond neidisch sein erblassendes Licht warf.
Auf den Bänken, in den Gassen schönc fremde Gesichter,
wie wandelnde Blumenmährchen" (S. 213). Dann kehrt
Herr Louis Ehlert am Charfrcitag nach Rom zurück, „und
die Vesperglocken läuteten die violette Sonne zur Ruhe.
Wie Osterfreude stand es in der Luft uud ani Himmel.
Friede Gottes auf allen Gefilden. Nur der Mensch,
die anspruchsvolle Gottähnlichkeit, zerrte lärmend seine
Sorge hinein" (S. 217V. Besonders stimmungsvoll wird
uns aber von Herrn Ehlert geschildert, wie er eines
Abends im Nonts tiaseone des Guten zu viel gethan
(S. 69, 70): „Es ist ein Wein für Engel. Süß und
feurig zugleich, versenkt er die Seele in stilles Träumen.
Und wir tranken und tranken der Fiaschetten schwer zu
uennende Zahl, uud es war mir zuletzt, als wäre mein
Geist ein feuriger See uud darin wüchsen der Blumen
allerschönste. Und aus ihrcn Gockcnblüthen stieg ein be
rauschendes Düften, das wurde heißcr und immcr heißcr,
und dünken wollte es niich, als wäre alle Schönhcit nur
noch ein Duft, der betäubend von der Erde zu den
Sternen hinaufzöge. Die Menschen uennen das Kopf-
schmerzen"-

„Jch verwahre mich auf's ausdrücklichstc gegeu jeden
Bersuch, feindlicheu wie freundlichen, diesen Blättern in
Sachcu der bildenden Kunst einc kritischc Kompetenz zu
vindiziren" sagt Herr Ehlert in der Borrede, und das ist
in der That eine Berlegenheit, in die er leicht kommen
könntc. Für Kunstwerke schwärmt unser Reiscnder in
ähnlicher Weise, wie er für Landschaften schwärmt. Er
hat das sichere Gefuhl, ihnen „ein reines Herz und
einen unverdorbenen Geschmack entgegenbringen zu
köunen" (S. 16), hat außerdem „halbe Bibliotheken
darüber gelesen" (S. 12). Seine kunsthistorischen Kennt-
nisse gehen soweit, daß er die Borghesische Grablegung
sür Raffael's crste große Komposition erklärt (S. 25);
und dem letzten Werk des großen Meisters auf einer uud
derselben Seite dreimal je einen anderen Gegenstand unter-
legt, Transfiguration, Auferstehung, Hinunelfahrt (S. 26).
Raffael's Freskobild in 8. Llnrin äelln pnos stellt nach
ihm „eine zauberhafte Verschlingung von Sibyllen und
Engeln" dar (S. 115). In Leonardo steckt „eine ganze
Seite von Robert Schumann" (S. 35), und wie Herr
Ehlert über Michelangelo schwärmt, wissen wir bereits.
Den Gipfel aller Satire finden wir aber auf Seite 142.
Da läßt der Verfaffer seinen persiflirten Tagebuchschreiber
beim 12. December folgendermaßen beginnen:

„Draußen Sterbewetter. Welche Melancholie in einem
römischen Regentag liegt, muß man crfahren haben. Auf
den Straßen ein Urweltsschmutz; drinnen schlechte Ci-
garren, Ungeziefer, kalte oder rauchige Stuben; Abends
die trübe Lucerne, sehr malerisch und sehr roh. Zauber!
In solchen Zuständen treibt die Seele wunderliche Kry-
stalle. Mögen cinige davon zum Gedächtniß hier stehen".
 
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