Die dritte Münchener Jahresausstellung.
I
Lebenskraft, wie die Schöpfungen eines Rubens und
Jordaeus, zugleich aber etwas von dem poetisch ge-
färbten Humor, der aus Paul Heyses Märchen vom
Letzten ihres Stammes spricht. Darauf eben beruht
nicht zum wenigsten Böcklins unvergängliche Größe,
und durch den Mangel dieses inneren, der künstle-
rischen Potenz selbst entstammenden Reizes, bleiben
alle Nachahmungen seiner Auffassungsweise, wie sie
etwa sein Landsmann Hans Sandrcutcr versucht, be-
deutungslos. — Obschon man Böcklin hier nicht von
einer so neuen Seite kennen lernte, wie in der viel
genannten „Susanna" der Berliner Jubiläunisausstel-
lung, gewährten seine hiesigen Gemälde, denen sich
auch zwei von ihm polychrom behandelte Skulp-
turen gesellten, dennoch ein verhältnismäßig voll-
ständiges Bild seiner künstlerischen Persönlichkeit. —
Das Gleiche gilt von der Sonderausstellung Len-
nachs und F. A. von Kaulbachs.
An berühmten Namen war die erstere diesmal
freilich ärmer als gewöhnlich: sie nannte deren nur
zwei; Jgnaz von Dbllingcr und Rudolf Virchoir. Von
dem Porträt Döllingers ist meines Wissens ein
zweites Exemplar im Musee moderne zu Brüssel,
und auch Virchow ist von Lenbach mehrfach gemalt
worden. — Seine Züge waren auch auf der Berliner
•Jubiläumsausstellung zu schauen: ein Porträt von
der Hand Hans Fechncrs, im Stil eines harmlosen
Pamilienbildes, der geistigen Bedeutung der Persön-
lichkeit gänzlich bar. Freilich stellt der berühmte
Forscher, Lehrer und Parteiführer dem Porträtisten
m diesem Sinne keine leichte Aufgabe. Es ist ein
Typus echt deutscher, rastloser aber ruhiger geistiger
Arbeit, ähnlich wie Helmholtz. Fascinirendes, Un-
gewöhnliches, wie etwa die Erscheinung Darwins,
besitzt
nicht der K
seine Persönlichkeit nicht. Lenbach
wäre
önig unserer Porträtisten, wenn er solcher
So ist
(Je1^enart nicht Rechnung zu tragen wüsste
auch sein Virchowbildnis gleichsam in einem
ganz anderen „Tempo" gemalt als etwa seine Bis-
marckporträts. Schlichtheit und Ruhe kennzeichnen
es- Wie trefflich dennoch der rechte Ton geistiger
Spannung getroffen ist, erhellt am besten aus einem
Vergleich mit dem Fechnerschen Bilde. Dort: ein
echter „Professor", etwa nach zweistündigem Kolleg
- hier neben dem Gelehrten auch der Parlamen-
tarier, der sich nach ruhiger Überlegung zu scharf-
sinniger Replik von seinem Sessel erheben zu wollen
scheint! — In völlig anderem Sinn ist ein zweites
hier zum ersten Male ausgestelltes Bildnis für Len-
nachs Auffassungsweise bezeichnend. Seinem Titel
n r..
»Der Zi
geuner" gemäß wäre es ein Spätling der Genre-
stücke aus des Künstlers Jugendzeit, in Wahrheit
aber ist es das Porträt eines jüngeren Münchener
Landschaftsmalers, welcher den Pinsel häufig mit
der Geige zu vertauschen liebte und auf einem
Kostümfest im Lenbachschen Hause in dem hier
wiedergesehenen Vagabundenkostüm erschien. Das
OD O
war eine besonders reizvolle Aufgabe für den Por-
trätisten! Sinnfälliger als sonst konnte er hier seine
Kunst bewähren, das Individuum zum Charakter-
typus umzubilden. Und er hat es in der That
glänzend erreicht. Die Maske verschwindet, wir
glauben an den „Zigeuner"; wir glauben auch, dass
sein Darsteller für die Boheme bisweilen echte Be-
geisterung empfinden mag. Das Bild ist übrigens
auch technisch und koloristisch höchst interessant.
Rotbraun, Schwarzbraun und Schwarz herrschen vor,
kräftige Lokalfarben fehlen; breit und derb scheinen
die Striche nebeneinander gesetzt, wie bei einer in
wenigen Stunden angefertigten Skizze — dennoch
ist das Ganze die Schöpfung einer geradezu raffi-
nirten Technik. Ähnlich die beiden 1891 signir-
ten Frauenköpfe! Die Pappe, auf der sie gemalt
sind, tritt stellenweise völlig' unberührt zu Tage,
stellenweise bricht ihre Textur durch die dünne
Farbschicht hindurch, stellenweise dient ihr Grau
als Grundfarbe des gleichsam marmorirten Fonds,
die Köpfe selbst aber heben sich von diesem selt-
sam flimmernden Hintergrund in vollendeter Plastik
ab und bleiben dennoch gleichsam visionär, wie
denn auf dem einen Bilde trotz der Darstellung der
Hand die eigentliche Büste der Figur fehlt, als sei
sie durch den Reflex des in allen Farben spielenden
Fonds momentan duftig verschleiert. Das Porträt
der „Frau v. M." mit seinem köstlichen Tizianischen
Rot, die beiden interessanten Kinderköpfe mit den
tiefdunklen, funkelnden Augen, und das liebenswür-
dige zum Genrestück erhobene Doppelbildnis „Mutter
und Kind" sind schon mehrfach bewundert worden,
— Lenbach ist als Kolorist und Maler ein Experi-
mentator. Wer sein prächtiges Heim durchschritten
hat, weiß, wie viel Zeit und Mühe er darauf ver-
wendet, Gipsabgüsse polychrom zu behandeln und
ihnen künstlich den Anschein antiken Marmors zu
verleihen. Aber Lenbach schließt sich bei seinen
koloristischen Versuchen keiner der herrschenden
Schulen an. Zu den Pleinairisten und Impressio-
nisten wird ihn niemand zählen. Er ist auf dem
Gebiet der Technik und des Kolorits ein Pfadfinder
auf eigene Faust, und wehe dem jüngeren „Nach-
treter", der ihm blindlings folgt! — Ganz anders
der frühere Leiter der Münchener Kunstakademie! Seine
I
Lebenskraft, wie die Schöpfungen eines Rubens und
Jordaeus, zugleich aber etwas von dem poetisch ge-
färbten Humor, der aus Paul Heyses Märchen vom
Letzten ihres Stammes spricht. Darauf eben beruht
nicht zum wenigsten Böcklins unvergängliche Größe,
und durch den Mangel dieses inneren, der künstle-
rischen Potenz selbst entstammenden Reizes, bleiben
alle Nachahmungen seiner Auffassungsweise, wie sie
etwa sein Landsmann Hans Sandrcutcr versucht, be-
deutungslos. — Obschon man Böcklin hier nicht von
einer so neuen Seite kennen lernte, wie in der viel
genannten „Susanna" der Berliner Jubiläunisausstel-
lung, gewährten seine hiesigen Gemälde, denen sich
auch zwei von ihm polychrom behandelte Skulp-
turen gesellten, dennoch ein verhältnismäßig voll-
ständiges Bild seiner künstlerischen Persönlichkeit. —
Das Gleiche gilt von der Sonderausstellung Len-
nachs und F. A. von Kaulbachs.
An berühmten Namen war die erstere diesmal
freilich ärmer als gewöhnlich: sie nannte deren nur
zwei; Jgnaz von Dbllingcr und Rudolf Virchoir. Von
dem Porträt Döllingers ist meines Wissens ein
zweites Exemplar im Musee moderne zu Brüssel,
und auch Virchow ist von Lenbach mehrfach gemalt
worden. — Seine Züge waren auch auf der Berliner
•Jubiläumsausstellung zu schauen: ein Porträt von
der Hand Hans Fechncrs, im Stil eines harmlosen
Pamilienbildes, der geistigen Bedeutung der Persön-
lichkeit gänzlich bar. Freilich stellt der berühmte
Forscher, Lehrer und Parteiführer dem Porträtisten
m diesem Sinne keine leichte Aufgabe. Es ist ein
Typus echt deutscher, rastloser aber ruhiger geistiger
Arbeit, ähnlich wie Helmholtz. Fascinirendes, Un-
gewöhnliches, wie etwa die Erscheinung Darwins,
besitzt
nicht der K
seine Persönlichkeit nicht. Lenbach
wäre
önig unserer Porträtisten, wenn er solcher
So ist
(Je1^enart nicht Rechnung zu tragen wüsste
auch sein Virchowbildnis gleichsam in einem
ganz anderen „Tempo" gemalt als etwa seine Bis-
marckporträts. Schlichtheit und Ruhe kennzeichnen
es- Wie trefflich dennoch der rechte Ton geistiger
Spannung getroffen ist, erhellt am besten aus einem
Vergleich mit dem Fechnerschen Bilde. Dort: ein
echter „Professor", etwa nach zweistündigem Kolleg
- hier neben dem Gelehrten auch der Parlamen-
tarier, der sich nach ruhiger Überlegung zu scharf-
sinniger Replik von seinem Sessel erheben zu wollen
scheint! — In völlig anderem Sinn ist ein zweites
hier zum ersten Male ausgestelltes Bildnis für Len-
nachs Auffassungsweise bezeichnend. Seinem Titel
n r..
»Der Zi
geuner" gemäß wäre es ein Spätling der Genre-
stücke aus des Künstlers Jugendzeit, in Wahrheit
aber ist es das Porträt eines jüngeren Münchener
Landschaftsmalers, welcher den Pinsel häufig mit
der Geige zu vertauschen liebte und auf einem
Kostümfest im Lenbachschen Hause in dem hier
wiedergesehenen Vagabundenkostüm erschien. Das
OD O
war eine besonders reizvolle Aufgabe für den Por-
trätisten! Sinnfälliger als sonst konnte er hier seine
Kunst bewähren, das Individuum zum Charakter-
typus umzubilden. Und er hat es in der That
glänzend erreicht. Die Maske verschwindet, wir
glauben an den „Zigeuner"; wir glauben auch, dass
sein Darsteller für die Boheme bisweilen echte Be-
geisterung empfinden mag. Das Bild ist übrigens
auch technisch und koloristisch höchst interessant.
Rotbraun, Schwarzbraun und Schwarz herrschen vor,
kräftige Lokalfarben fehlen; breit und derb scheinen
die Striche nebeneinander gesetzt, wie bei einer in
wenigen Stunden angefertigten Skizze — dennoch
ist das Ganze die Schöpfung einer geradezu raffi-
nirten Technik. Ähnlich die beiden 1891 signir-
ten Frauenköpfe! Die Pappe, auf der sie gemalt
sind, tritt stellenweise völlig' unberührt zu Tage,
stellenweise bricht ihre Textur durch die dünne
Farbschicht hindurch, stellenweise dient ihr Grau
als Grundfarbe des gleichsam marmorirten Fonds,
die Köpfe selbst aber heben sich von diesem selt-
sam flimmernden Hintergrund in vollendeter Plastik
ab und bleiben dennoch gleichsam visionär, wie
denn auf dem einen Bilde trotz der Darstellung der
Hand die eigentliche Büste der Figur fehlt, als sei
sie durch den Reflex des in allen Farben spielenden
Fonds momentan duftig verschleiert. Das Porträt
der „Frau v. M." mit seinem köstlichen Tizianischen
Rot, die beiden interessanten Kinderköpfe mit den
tiefdunklen, funkelnden Augen, und das liebenswür-
dige zum Genrestück erhobene Doppelbildnis „Mutter
und Kind" sind schon mehrfach bewundert worden,
— Lenbach ist als Kolorist und Maler ein Experi-
mentator. Wer sein prächtiges Heim durchschritten
hat, weiß, wie viel Zeit und Mühe er darauf ver-
wendet, Gipsabgüsse polychrom zu behandeln und
ihnen künstlich den Anschein antiken Marmors zu
verleihen. Aber Lenbach schließt sich bei seinen
koloristischen Versuchen keiner der herrschenden
Schulen an. Zu den Pleinairisten und Impressio-
nisten wird ihn niemand zählen. Er ist auf dem
Gebiet der Technik und des Kolorits ein Pfadfinder
auf eigene Faust, und wehe dem jüngeren „Nach-
treter", der ihm blindlings folgt! — Ganz anders
der frühere Leiter der Münchener Kunstakademie! Seine