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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Meyer, Alfred Gotthold: Die dritte Münchener Jahresausstellung, [3]
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Die dritte Münchener Jahresausstellung.

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Sonderausstellung ließ ihn auch diesmal als den be-
rufenen Lehrer erscheinen: selbst trefflich geschult
an klassischen Mustern, zielbewusst aber nicht radi-
kal, vielseitig aber stets vornehm. Vornehm sind
die Persönlichkeiten, die er darstellt, vornehm ist
Haltung und Farbe aller seiner Bilder. Ja nicht
selten — zu vornehm! Seine Porträts haben etwas
Gleichartiges. Ein bestimmter, historischer, um nicht
zu sagen konventioneller Schönheitsbegriff ist ihnen
allen gemeinsam, die Formen erscheinen abgeschliffen,
die Farben gedämpft — man beachte nur die auf-
fallende Blässe fast all' seiner Köpfe! Die Geburts-
und Geistesaristokratie bleibt die Gesellschaft, welche
seine Porträtkunst nicht ungestraft verlassen darf.
Er schildert sie, wie sie uns etwa in den Romanen
eines Spielhagen entgegentritt, stets psychologisch
fesselnd und interessant, aber stets „salonfähig" und
ohne jene urkräftige Individualität, die in den Ge-
mälden Lenbachs etwas von der elementaren Größe
jener „ganzen Menschen" der Renaissancezeit ent-
hält. — Und wie seine Auffassung der Persönlich-
keit, so bleibt auch seine Malweise Experimenten,
wie sie Lenbach liebt, .fern. Nicht das Konventionelle

— dafür ist sein Können zu groß — wohl aber die
gute, klassische Überlieferung ist es, die in seiner
Kunst Achtung gebietend zum Ausdruck gelangt.

— Im Münchener Salon ward dies durch den Reiz
der Dargestellten selbst erhöht. Anziehendere Mo-
delle, wie jene Mädchengestalt mit dem tiefschwarzen
Haar und den ernsten Augen, wie jenes entzückende
Kinderköpfchen, und wie die Züge der greisen Witwe
Wilhelm von Kaulbachs, vermag er kaum zu finden.
Auch die Bildnisse des Prinzregenten und des im
Jagdhabit dargestellten „Freiherrn v. W." zählen
durch die vornehme Schlichtheit der Auffassung und
die feine Abtönung der Farben zu seinen besten Ar-
beiten. Von den übrigen Bildern erregte besonders
ein schon in Stuttgart ausgestelltes Pastell Interesse:
eine duftige Landschaft im Stile Corots, zart und
poetisch aufgefasst, mit der Staffage einer lieblichen
Psyche. —

Der dritte Münchener, welcher der Aufnahme
in diesen Ehrensaal gewürdigt wurde, ist Wilhelm
Leibi. Das Gesunde, Kernhafte, Robuste seiner Art
musste in der Nachbarschaft Kaulbachscher Bilder
besonders hervortreten. Er ist in dieser Umgebung
ein Realist vom Schlage der Jüngeren, Kaulbachs
Verschönerung zu Gunsten poetischer Auffassungs-
weise bleibt ihm ebenso fremd, wie Lenbachs und
Menzels geistige und psychologische Vertiefung. Er
schildert das Modell mit photographischer Treue,

ja seine Bilder haben für mein Empfinden häufig
zu ausgesprochen das Gepräge des Modellstudiums:
sie wirken nicht als Momentaufnahmen nach der
Natur, sondern als Wiedergabe sorgsam „gestellter"
Akte. Das giebt dem modernen Realismus seiner
Kunst einen unmodernen Beigeschmack, etwas Alt-
väterliches, und dem entspricht dann freilich im besten
Sinne, die sorgsame, solide Malweise, die sich von
allen jetzt so beliebten koloristischen Experimenten
gänzlich fern hält. —

Auch ein „Berliner" gehörte der Gruppe der
für diese „Tribuna" Erwählten an, einer, dem auch
die Münchener Künstlerschaft königliche Ehren zollt,
obschon er den Bestrebungen ihrer jüngeren Ver-
treter bekanntlich keineswegs sympathisch gegenüber-
steht: Adolf Menzel. — Man erzählt sich in München
ein bezeichnendes Urteil des Altmeisters über die
„Modernsten" des Salons. Nachdem er deren Säle
ein Weilchen mit stummem Kopfschütteln gemustert,
habe er gesagt: „Es ist Zeit, wieder einmal die —
Natur zu studiren!" — — Fürwahr ein schlimmes
Wort für die geschworenen Naturalisten und Rea-
listen, die vielfach nur die Konsequenzen jener gol-
denen Lehren zu ziehen vermeinen, die Menzel in
seinen nunmehr schon „historisch" gewordenen Haupt-
werken für die deutsche Kunst zuerst aufgestellt!
Aber schon die wenigen wohlbekannten Ölgemälde,
die hier von ihm vereint waren, der „Cercle bei Kaiser
Wilhelm I.", die „Prozession in Gastein" und „Die
Maurer", genügten, um jenen scheinbaren Widerspruch
zu lösen. Wenn einer, so ist der Schöpfer dieser
Bilder modern-realistisch, aber er ist darum kein
Sklave des Modells, sondern er schafft dasselbe mit
echt künstlerischem Empfinden um; er giebt schein-
bar nur eine augenblickliche „Impression" wieder,
aber er ist kein moderner Impressionist: er arbeitet
seine kleinen Figürchen so sorgsam durch, dass sie
um so wahrer und lebendiger erscheinen, je länger
man sie betrachtet, voll physischen Lebens bis in
die Fingerspitzen, mit geistiger Regsamkeit und
psychologischer Wahrheit selbst in den winzigsten
Köpfen des Hintergrundes; er giebt scheinbar die
Momentaufnahme einer dichtgedrängten Menschen-
menge, aber er stellt damit zugleich ein Vorbild
mustergültiger Komposition auf. Und niemals —
auch nicht in jenen zahlreichen kleinen Gouache-
bildern, die zum Teil in einem dunklen Nebensaal
Platz gefunden haben — giebt er Beleuchtungsmo-
mente wieder, die, obwohl in der Natur thatsäch-
lich vorhanden, im Bilde festgehalten, ob allzu
großer gesuchter Naturwahrheit— unnatürlich wirken.
 
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