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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Meyer, Alfred Gotthold: Die dritte Münchener Jahresausstellung, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0059

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Die dritte Münehener Jaliresausstellung.

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war in diesem Sinne allein 0. Friedrichs Gemälde
„Canossa" zu rühmen, im diesjährigen fehlten deutsche
Bilder seiner Gattung fast gänzlich. Selbst die
sogenannten „patriotischen" Stücke blieben selten.
Ihr Hauptvertreter war Robert Haug, der sich durch
seinen „Abschied" mit einem Schlag einen treff-
lichen Namen erworben hat. Diesmal stellte er zwei
kleine Gemälde aus, welche bezeugen, dass er sich in
die historische Atmosphäre, die auf jenem ersten Bilde
ruhte, völlig einlebt. Es sind zwei treffliche Soldaten-
stücke aus der Zeit der Freiheitskriege, eine Truppe
„auf dem Marsch" mit gut beobachteten Figürchen
und ein „im Morgenrot" betiteltes militärisches Stim-
mungsbild: berittene Vorposten, jede einzelne Gestalt
musterhaft gezeichnet und psychologisch fein indi-
vidualisirt, das Ganze auch koloristisch äußerst
wirkungsvoll behandelt. — Haug scheint dazu be-
rufen, den Ideengehalt Körnerscher Lieder zu ver-
körpern. Sicherlich wird man diese nationale Rich-
tung, wenn anders sie sich wie bisher mit tüchtigem
Können paart, freudig begrüßen; ist ihr bisheriger
Mangel doch auffällig genug: von den gewaltigen
Ereignissen, welche die letzten Jahre dem deutschen
Volke gebracht haben, ist weder in unsern inter-
nationalen noch in unsern nationalen Ausstellungen
ein künstlerischer Niederschlag bemerklich! Auch
die modernen Soldatenstücke waren in München
im wesentlichen nur durch Theodor Rockoll, Breling,
Karl Röchling und Velten vertreten: das „ Peindre
son temps" ist eben noch keineswegs der erste
Wahlspruch des deutschen Malers! —

Ein eigenartiges Bild, halb Geschichte, halb
Traum, hatte' F. J. Amling ausgestellt, die „letzte
Revue" Napoleons I, wo im Morgengrauen, visionär
aufgefasst, die endlosen Scharen der Gefallenen vor
ihrem als Gerippe auf dürrem Klepper haltenden
Feldherrn vorüberziehen. Der Gedanke ist nicht neu:
es ist die llustration zu einem bekannten Zedlitzschen
Gedicht, wie sie bereits der große Auguste-Marie
Raffet in seiner berühmten „ Revue nocturne" ge-
schaffen hat; auch die Ausführung ist nicht gerade
originell, aber wohldurchdacht und im einzelnen
gut durchgearbeitet.

Dass unsern Malern „originelle Ideen" fehlen,
ist eine ebenso alte, wie unberechtigte Klage, unbe-
rechtigt, weil die Ziele der gegenwärtigen Kunst
eben in ganz anderen Gebieten liegen, als im Stoff
und geistigen Gehalt der Darstellung. Umsomehr
aber verdienen Ausnahmen von der Regel Beachtung.
Der Münchener Wilhelm Schade, der im vorigen
•Jahr durch seine seltsame, aber keineswegs geist-

lose Verkörperung des „Alpdrückens" in seiner
„Drud" Aufsehen erregte, hatte diesmal eine noch
eigenartigere Allegorie gesandt, eine Verherrlichung
des Morphiums: eine ernste, mit Fledermausflügeln
versehene Frauengestalt, welche sich mit der Mor-
phiumsspritze mitleidsvoll über eine zu ihr geflüchtete
Unglückliche neigt. Zweifellos sehr seltsam! —
aber man kann nicht behaupten, dass der Gedanke
schief sei, und ebensowenig, dass ihn nur die Lust
am Sensationellen eingegeben habe: — das Bild steht
auf gleicher Stufe mit der bekannten allegorisirenden
„Vivisektion" von Gabriel Max. — An den letzteren
ward man auch durch Albert Kellers „ Somnambule"
geraahnt. Der Ausdruck einer bereits der Verzük-
kung nahen Weltentrücktheit war es, welcher auch
Kellers „Hexe" auf dem Scheiterhaufen einen so
eigenartigen Reiz verlieh. Auch in der „Somnam-
bule" erreicht er diese Wirkung. Keller ist übrigens
ungemein vielseitig! Dicht neben diesem mystischen
Bild hing von ihm ein prächtiges Interieur: eine
„Stoffmalerei" ersten Ranges, Tierfelle und Kissen
aller Art so weich und natürlich wiedergegeben,
dass man hineingreifen möchte, während das Figür-
liche freilich zur Staffage herabsank. —

Zum Schluss noch der Name des Künstlers,
den man jetzt nur noch mit halbem Recht an die
Spitze der modernsten Schule zu stellen pflegt: Fritz
von Uhdel Er ward in den Künstlerkreisen diesmal
besonders häufig genannt, denn er bezeichnete den
Vorsitzenden der Gesamtjury. — Ohne Künstler-
namen nnd ohne — Titel würde das Bild, welches
von Uhdes in diesem Salon ausgestellten Werken
am meisten kritisirt wurde, kaum sonderlich auf-
gefallen sein. Eine Dorflandschaft im Schnee, in
abendlichem Dunkel, im Vordergrund eine Tage-
löhnerfamilie, die eilig fürbass schreitet — ein treff-
lich durchgeführtes landschaftliches Stimmungsbild,
durch seine Gestalten zu einem ergreifenden Bild des
Elends erhoben; nein, nicht nur des Elends! — auch
der Liebe, der Gatten- und Kindesliebe, eine schlichte
Verherrlichung der Familienbande! —Aber dies Weib
aus dem Volk, mit den ältlichen Zügen, welches ihr
Kind an die Brust drückt, um es vor Kälte zu schützen,
ist keines jener zahllosen Geschöpfe, die sich in schwe-
rer Arbeit und Not, pflichtgetreu bis_'ans Ende ihrer
Tage schleppen, um dann, von wenigen beweint,
spurlos zu vergehen, wie der Wurm im Staube —
es soll die irdische Gestalt der Gottesmutter sein,
zu deren Glorienschein täglich Millionen anbetend
aufblicken; das kaum recht erkennbare Kind in
j ihren Armen ist das Christkind; der Alte hinten
 
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