Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

DOI Artikel:
Verschiedenes / Inserate
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0064

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
115

116

malerisch. Nach Vollendung des Werkes kommen wir darauf
zurück.

* Unter dem Titel „Malerwerke des neunzehnten Jahr-
hunderts" giebt Friedr. v. Boetticher in Dresden ein neues
Künstlerlexikon heraus, welches sich die Aufgabe stellt,
Verzeichnisse der Werke sämtlicher deutschen Maler des
neunzehnten Jahrhunderts zu bieten, mit Hinzufügung der
Werke solcher ausländischer Künstler, welche in Deutschland
ausgestellt haben oder in den deutschen Sammlungen ver-
treten sind. Nimmt man diesen, wie uns scheint, etwas äußer-
lich gedachten Begrenzungspunkt an, so erscheint die Boet-
tichersche Arbeit sehr dankenswert. Das Verzeichnis ist
reichhaltig, die Abfassung höchst knapp. Nach Erscheinen
der Schlusslieferung wird sich Anlass bieten, näher auf das
Werk einzugehen.

Haffaels Wandgemälde „Die Philosophie", genannt die Schule
von Athen. Von Franz Bole. Mit einer Abbildung. Brixen,
A. Weger. 1891. 43 S. — 1 M. 20 Pf.

• Die kleine lesenswerte Schrift enthält in kurz ge-
fasster, inhaltreicher Form einen in allen wesentlichen Punk-
ten wohlbegründeten Kommentar zu Raffaels berühmtem
Wandgemälde in der Stanza della Segnatura des Vatikans.
Ausgehend von der Stellung des Bildes zu dem ihm ent-
sprechenden Deckengemälde und zu seinem Gegenüber, der
„Disputa", gewinnt der Verfasser den richtigen Standpunkt
für die Erfassung des Grundgedankens der Komposition und
erläutert diese dann in allen ihren Hauptfiguren und Neben-
beziehungen. Es ist in der That das geistige Bild des Ent-
wickelungsganges der griechischen Philosophie, welches uns
der Künstler mit vollendeter Klarheit und Schärfe der Cha-
rakteristik vor Augen geführt hat. Ein hübscher Gedanke
des Autors war es, uns den wirklichen Verlauf der Geschichte
der griechischen Philosophie vor der Betrachtung der Haupt-
gruppen des Bildes in gedrängter Fassung und mit Kursiv-
schrift vorzuführen und darauf dann die Besprechung der
Raffaelischen Gestalten folgen zu lassen. Man sieht so
vollkommen klar, wie ungezwungen eines sich zum andern
fügt. Auch von der Architektur des Bildes, gleichsam dem
Schauplatz der Handlung, bietet der Text eine hübsche Ana-
lyse. Beigegeben ist ein Lichtdruck des Bildes, mit Weg-
assung der oberen l'artie. Den Porträtkopf neben Raffael
hält Bole für den des Pcrugino. Das ist nicht mehr halt-
bar. Wir müssen vielmehr das Bildnis des Soddoma darin
erkennen, als desjenigen Meisters, von dem bekanntlich die
Einteilung und mehrere Stücke der Deckenmalereien des
Saales herrühren.

Laban, Ferdinand, Der Ocmütsausdruck des Antinous.
Ein Jahrhundert angewandter Psychologie auf dem Ge-
biete der antiken Plastik. Berlin, W. Spemann. 1891.
8». 92 S.

So lange wir beim Hermes des Praxiteles die rechte I
Hand nicht besitzen, vermögen wir auch den Ausdruck in
seinem Gesichte nicht klar und präzise zu deuten. Der Gott
thut etwas und die fehlende Hand soll uns eben sagen, was
er thut. Beim Antinous ist das Porträt das Wesentliche, die
Hauptsache. In jedem Porträt des Antinous gelangt eine
gewisse habituelle Gemütsstimmung zum Ausdruck. Aber
welche? Darüber weichen die Ansichten der Archäologen
und sonstigen Kunstschriftsteller ganz merkwürdig von ein-
ander ab. „Der eine spricht von Unschuld, der andere von
Wollust, von Naivetät der eine, von Koketterie und bewusster
Scham der andere, dieser von Leidenschaftslosigkeit, jener
von Wildheit. Sanftmut und Milde erblickt der eine in
seinen Zügen, etwas Kühnes, Rohes, Stolz, Bosheit, ja Grau-

[ samkeit der andere. Süßes Behagen findet man ausgeprägt
| in seinem Gesicht, stille Gemütsruhe, Träumerei, Entzücken
und Liebeswonne, dann wieder etwas Ernsthaftes, Nachdenk-
liches, eine leise Melancholie, einen Zug von Schwermut,
, tiefe Traurigkeit, ziellose Sehnsucht, schmerzliche Resigna-
j tion, etwas Düsteres, Totenstarres, eine Hoffnungslosigkeit,
innere Zerrissenheit, Lebensüberdruss, die wirkliche Ver-
j zweiflung, den Weltschmerz, Entsagung und Abtötung, dü-
steren Fanatismus." (S. 68.) Man darf aber durchaus nicht
[ etwa glauben, dass diese sonderbaren Resultate der „ange-
gewandten Psychologie" bei dem halben Hundert Autoren,
die Herr Laban durchgenommen hat und „fein säuberlich
herauspräparirt" in chronologischer Folge dem Leser vor-
führt, durcheinander laufen wie in diesem soeben citirten
'. pele-mele, das einigermaßen an die Zusammenfassung der
diversen ärztlichen Ordinationen für eine und dieselbe Krank-
heit in Immermanns Münchhausen erinnert. Die Schön-
geister, Archäologen, Litteratoren und Professoren, die, sei
es durch Zufall, sei es durch ihre Studien dazu geführt wor-
den sind, über den Antinous eine Ansicht zum besten zu
geben, lassen sich nach der letzteren in Gruppen sondern.
I. Gruppe, die optimistische, die Männer des humanen, sen-
timentalen und rührseligen 18. Jahrhunderts, Leute, die, wie
Winckelmann, Meyer, Goethe, Adler, Heinse, Bromley,
Levezow, Gruber, Beck, vor 1774 geboren wurden und
nicht nach 1816 geurteilt haben. II. Gruppe, die pessimi-
stisch-idealistische , die Herren aus dem Zeitalter Schopen-
hauers, die .,WeltschmerzIer"-Gruppe der Schnaase, Braun,
Stahr, Wieseler, Kugler, Carriere etc., von denen keiner vor
1798 geboren ward, keiner vor 1843, keiner nach 1866 ge-
urteilt hat. III. Gruppe , die moderne, realistische, die,
etwas gleichgültig dem betrachteten Objekt gegenüber, alles
Menschliche im Menschen ausfindig machen, und in allen
menschlichen Dingen als die wahren Triebfedern die mate-
riellen nachweisen will, aber in weitaus höherem Grade als
die beiden vorhergehenden zur historischen Gerechtigkeit dis-
ponirt erscheint. IV. Eine letzte Gruppe, die allermodernste.
macht ganz den Eindruck, als ob sie in die Bahn des
18. Jahrhunderts wieder einlenken wollte. „Was den Autor
einer bestimmten Zeit veranlasst, eben einen gewissen Aus-
druck im Haupte des Antinous zu erblicken: das ist das vor-
herrschende Empfindungselement seiner Zeit, die Färbung,
die Grundstimmung, von welcher seine Mitwelt ausgeht."
(S. 85.) Das heißt in unsere Sprache übersetzt: Wir sehen
in dem Antlitz des Antinous nur, was wir selbst mit uns
herumtragen; wir legen es nicht aus, wir legen ihm was
unter. Wenn wir die Kunsturteile über den Antinous sich
in einem Circulus bewegen sehen, so wird bei einer even-
tuellen „kritischen Sichtung" von Kunsturteilen über einen
und denselben Gegenstand auch das Urteil unserer eigenen
Zeit nicht als „abschließend" zu betrachten und bezüglich
der Unfehlbarkeit und „Exaktheit" der „kritischen Methode",
mit der es gewonnen ist, eine Skepsis gestattet sein. Wenn
die „Vieldeutigkeit" der antiken Plastik, ihr „Idolcharakter",
nebst ihrer Fähigkeit, den körperlichen Ausdruck einer jeden
Gemütsbewegung „ohne stark kontrahirte Gesichtsmuskeln"
darzustellen, die Ursache des fatalen Faktums sein soll, dass
jeder Beschauer im Antinousantlitz etwas anderes sieht, dann
ist jedes Kunstwerk und jede Kunstepoche ein Idol, dann
hat keine einzige Periode in der Plastik den Ausdruck der
Gemütsbewegungen mit kontrahirten Gesichtsmuskeln darge-
stellt. Von all den schönen Dingen, die im Kopfe des An-
tinous gesehen wurden, steht gar nichts drinnen; der Weg,
auf welchem die besprochenen Ergebnisse gewonnen wurden,
war keine wissenschaftliche Thätigkeit. Eine solche ist nur
 
Annotationen