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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 3.1892

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Die amerikanischen Weltausstellungsbauten
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Frimmel, Theodor von: Ernst Wilh. von Brücke in seinen Beziehungen zu Kunst und Kunstwissenschaft
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https://doi.org/10.11588/diglit.5366#0217

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421

Ernst Wilhelm von Brücke in seinen Beziehungen zu Kunst und Kunstwissenschaft.

422

Von den fremden Staaten wird Mexiko einen
Aztekentempel, Guatemala den Palast der Stadt An-
tigua, Columbia das Kapitol der Republik, Ecuador
den Sonnentempel, Deutschkind ein altdeutsches Ge-
bäude, die Türkei eine Straße aus Konstantinopel
mit Bazaren aufführen lassen; ein Privater wird ein
holländisches Haus im Stile des 15. Jahrhunderts
bringen. Auch ein babylonischer Turm von Ge-
schäftshaus mit sechzehn Stockwerken wird aufge-
führt, ein Baxar aller Nationen, in dem für jeden
Aussteller das betreffende Gebäude in dem für sein
Vaterland charakteristischen Stile aufgeführt sein
wird etc. etc. Mögen nur zu den enormen Anstren-
gungen auch die Erfolge im günstigen und not-
wendigen Gleichgewichte stehen. Um einen Be-
griff von den ersteren zu bekommen, teilen wir nur
mit, dass die Direktion der Ausstellung für das Halb-
jahr Mai — November 1891 fast 18000000 Dollars in
Voranschlag gebracht hat. Bk.

ERNST WILH. VON BRÜCKE IN SEINEN
BEZIEHUNGEN ZU KUNST UND KUNST-
WISSENSCHAFT.

Brücke, unscheinbar in seiner äußeren Gestalt,
war in seiner Thätigkeit als Gelehrter sowie als Leh-
rer sehr auffallend, und das im besten Sinne des
Wortes. Das methodische Denken selbst schien durch
ihn zu seinen Schülern zu sprechen. Seine Vorlesun-
gen über Physiologie, aus seinem Munde angehört
oder aus seinen Schriften studirt, waren eine strenge
Schule des Denkens. Keine Spur von oratorischem
Geflunker, von bestechendem Bilderreichtum, alles
inhaltsschwer, in den meisten Fällen vollkommen
überzeugend. Klar gedachte Antworten verlangte er
denn auch bei den Prüfungen. Seiner langen Lehr-
thätigkeit an der Wiener Universität (von 1849 bis
1890) verdanken es Hunderte von Medizinern, die
mit wenig durchgebildetem Nervensystem und man-
gelhaft geschultem Gehirn zu ihm kamen, dass sie
endlich denken und studiren lernten, was ihren nach-
maligen Patienten sicher zu gute gekommen ist.

Was uns aber hier an dem verblichenen Ge-
lehrten am meisten interessirt, ist allerdings nicht
seine Lehrthätigkeit auf dem Gebiete der Physiologie,
sondern seine innige Verbindung mit den bildenden
Künsten seit seinem Kindesalter. Brückes Vater
Gottfried war Maler und leitete eine Zeicb.enscb.ule1),
so dass der junge Ernst vom Hause aus über viele

1) Vergl. Münchener Allgemeine Zeitung vom 27. No-
vember 1891.

Fragen der malerischen Technik, über Perspektive
und anderes aufgeklärt wurde, was viele, die nicht
ausübende Künstler werden, erst spät oder gar nicht
kennen lernen. Gesteigert wurde sein reger Sinn für
die bildenden Künste offenbar noch mehr, als der
junge Gelehrte gegen Ende der vierziger Jahre an
der Berliner Kunstakademie Anatomie vortrug. Mit
der Zeit wurde dann Brücke einer der feinst be-
obachtenden Kunsttheoretiker und bereicherte die
Kunstwissenschaft um mehrere überaus bedeutende
Werke. Seine „ Physiologie der Farben für die Zwecke
der Kunstgewerbe" (auf Anregung der Direktion des
k. k. Osterr. Museums für Kunst und Industrie be-
arbeitet) ist in aller Händen. Sie ist auch ins Fran-
zösische übersetzt und tüchtig ausgeschrieben worden
(letzteres auch ohne Quellenangabe). Auf einen
interessanten Essai, den Brücke vor etwa zwölf
Jahren in der „Deutschen Rundschau" veröffentlicht
hat, und der von der Darstellung der Bewegung in
den bildenden Künsten handelte, habe ich damals in
der Kunstchronik aufmerksam gemacht'). Wenngleich
sich die begabtesten Künstler aller Zeiten in ihren
bewegten Figuren stets (wohl unbewusst) an diesel-
ben Regeln gehalten haben, die Brücke in seinem
Essai aufstellt, so war er doch der Erste, der die
Sache klar durchdachte und begründete. Zur wir-
kungsvollen Darstellung von Bewegung sind dem-
nach nur der jedesmalige Ausgangspunkt und das
Ende zu gebrauchen, wogegen alles, was dazwischen
liegt, den Eindruck der Lahmheit hervorbringt. Denn
Anfang und Ende der Bewegung sind es, die fester
im Gedächtnis des beobachtenden Künstlers haften,
als die Phasen, aus deren Betrachtung in der Dar-
stellung sich überdies für den Beschauer keine zwin-
genden Schlüsse auf vorhergegangene oder nachfol-
gende Bewegung ergeben. — Viel ausgedehnter und
vielseitiger ist eine andere kunsttheoretische Schrift
Brückes, die, wie die vorhergehende, in Künstler-
kreisen zu wenig Beachtung gefunden hat. Es sind
die „Bruchstücke einer Theorie der bildenden Künste"
(28. Bd. der internationalen wissenschaftlichen Biblio-
thek). Und doch enthalten sie goldene Gedanken und
könnten für Maler und Bildhauer das nützlichste
Vademecum abgeben. Würden die „Bruchstücke"
mehr beachtet, so wären der schreienden Verstöße
gegen die Reliefperspektive gewiss viel weniger, als
man sie thatsächlich auch bei Bildhauern von Ruf
antrifft (Nomina sunt odiosa). Würden die „Bruch-

1) In dem Bericht über die Photographienausstellung im
öst. Mus. für Kunst u. Industrie 1881. Nutzanwendung auf
die Momentaufnahmen.
 
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