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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Topf, Guido: Der Knabe mit dem Pfeil: archäologische Humoreske
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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0077

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141

Der Knabe mit dem Pfeil.

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rend sie sich an Speise und Trank erquickten, griff
einer der Knaben, die sie begleitet hatten, nach den
Pfeilen seines Herrn und fing an, ein anmutiges
Spiel mit ihnen zu treiben. Um leichter hantiren
zu können, entledigte er sich seines Chitons; und
während er Pfeil um Pfeil in die Luft warf und
wieder fing, sahen ihm die Jagdgenossen zu, mit
Wohlgefallen sowohl seine Geschicklichkeit als seine
schöne Gestalt betrachtend.

Einer der Jäger, der Bildhauer Diotrephes, der
einzige, der noch nichts erbeutet hatte, trug von
dort die schönste Jagdbeute nach Hause: das Motiv
zu einer Statue, deren Ausführung er sofort nach
seiner Heimkehr begann.

Schon manches schöne Bildnis hatte er ge-
fertigt. In dem Haine von Olympia prangten die
Standbilder zweier Sieger, von seiner Hand gebildet,
welche als Meisterwerke der Bildhauerkunst galten;
aber sein neuestes Werk, der Knabe mit dem Ff eil,
übertraf alle früheren. Es stellte einen schönen
Knaben dar, welcher, seiner Geschicklichkeit sich
"freuend, — im Angesichte ein triumphirendes Lä-
cheln — mit der Rechten einen Pfeil, den er eben
in der Luft gefangen, über seinem Haupte empor-
hält.

Die aus reinstem pentehschen Marmor ausge-
führte Statue fand den ungeteilten Beifall eines
reichen korinthischen Kaufmanns. Derselbe ließ
eine gute Nachbildung in Bronze ausführen und
stellte diese, als schönste Zierde seiner Wohnung,
in seinem Atrium auf.

Als der römische Feldherr Lucius Mummius als
Sieger in Korinth eingedrungen war, ließ er alles,
was von Kunstschätzen in der eroberten Stadt un-
versehrt geblieben, nach Rom transportiren. „Nehmt
euch in acht!" sagte er zu den Soldaten, „wer eine
Statue zerbricht, muss eine neue anfertigen lassen."
So kam die Bronzestatue des Knaben mit dem Pfeil
nach Rom. Mummius machte dieselbe dem Cn.
Cornelius Lentulus, seinem Mitkonsul, zum Geschenk.

„Welch herrlicher Amor,1' sagte Konsul Corne-
lius, als er die Statue in seinem Sanktuarium auf-
gestellt hatte, zu seiner Gemahlin. „Sieh, er hebt
mit triumphirendem Lächeln den Pfeil in die Höhe,
als wollte er sagen: das ist die Waffe, mit der ich
über Menschen und Götter siege." — „Auch über
uns hat er den Sieg davongetragen," antwortete die
jugendlich schöne Frau, mit den weißen Armen den
würdigen Gatten umschlingend.

Der Glaube an die alten Götter schwand vor

'dem Glauben, den die Apostel in Rom verkündeten.
Der erste aus dem Geschlechte des Konsuls Corne-
lius, der sich zum Christentume bekehrt hatte, rei-
nigte alsbald, nachdem er die hl. Taufe empfangen,
seine Wohnung von den heidnischen Götterbildern.
Einige der Bilder verschenkte er, andere zerschlug
er. Auch den Amor wollte er zertrümmern, aber
die Bronze hielt die Schläge, die nach ihr geführt
wurden, aus. Ein Sklave erhielt den Auftrag, den
bronzenen Zeugen heidnischer Verblendung in die
Tiber zu werfen, hatte aber Mitleid mit der schönen
Figur und barg sie in einem Vorratsraume unter
allerhand Gerümpel.

* *
*-

Zur Zeit der Diokletianischen Verfolgung zog
der Presbyter Lucius die Statue aus ihrem Ver-
stecke hervor.

Lucius war in der alttestamentlichen Geschichte
wohl unterrichtet. Er kannte das Freundschafts-
bündnis, das zwischen David und Jonathan bestan-
den hatte. Jonathan hatte dem flüchtigen David
gesagt: „Wenn ich am dritten Tage nach dem Ziele
schieße und zu meinem Knaben sage: siehe, die
Pfeile liegen dortwärts vor dir, so fliehe, denn der
Herr heißt dich gehen." Und am dritten Tage schoss
Jonathan nach dem Ziele und rief seinem Knaben:
„Der Pfeil liegt dortwärts vor dir! Eile!"

Als Lucius die Statue vor sich hingestellt hatte,
sagte er: „Das ist Jonathan's Knabe; den Pfeil, der
,dortwärts vor ihm' gelegen, hat er gefunden und
zeigt ihn freudig von weitem seinem Herrn. Aber
dem David ist der Pfeil eine Mahnung zu eiliger
Flucht. Und was Jonathan's Knabe dem David kün-
dete, dasselbe kündet er uns: fliehet, damit ihr dem
Tode entrinnet." Und Lucius floh auf ein Landgut
in der Nähe Mailands. Den bronzenen Knaben Jo-
nathan's aber nahm er mit sich; derselbe galt der
Familie gleich einem Rettungsengel.

*

In der Diokletianischen Verfolgung, während
deren Lucius dem Tode glücklich entgangen war,
ist der hl. Sebastian den Märtyrertod gestorben. Er
wurde seines Bekenntnisses wegen den Mauretanern
preisgegeben, welche ihn mit ihren Pfeilen er-
schossen. Denn dass er durch die Pflege der from-
men Irene dem Leben erhalten worden sei, ist eine
nicht ausreichend verbürgte Nachricht.

Der Glaube, die Bronzestatue stelle Jonathan's
Knaben dar, erlosch mit dem Geschlechte des Lu-
cius. Die Statue kam darauf in den Besitz eines
Bischofs. Derselbe frug sich, wen die Statue dar-
 
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