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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Bücherschau.

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Genuss von vielem erst erschließt, den bildenden Wert
eines Aufenthaltes in Eom wesentlich erhöhen hilft.
Die Wissenschaft so dem größeren Kreise der Gebil-
deten durch seine Arbeit näher gebracht zu haben, wäre
ein Verdienst des Verfassers, auch wenn er sie nicht
durch eine Eeihe in dem Buche niedergelegter eigener
Bemerkungen und thatsächlicher Angaben bereichert
hätte.

Das in den zwei Bänden behandelte Material um-
fassi sämtliche öffentlich zugängliche Sammlungen, also
Vatikan, beide kapitolinische Museen, Lateran, die Villen
Alban! und Borghese, die Paläste Boncompagni-Ludovisi
und Spada, die Antiken der vatikanischen Bibliothek
und vorgreifend auch einige der hauptsächlichsten Stücke
des noch uneröffneten Nationalmuseums in den Diokle-
tiansthermen. An diesen von Heibig selbst bearbeiteten
Teil schließt sich die Beschreibung des etruskischen
Museums im Vatikan, des Museo Kircheriano und der
archäologisch interessanten Objekte des Museo preistorico,
die Emil Reisch zum Verfasser hat. Ausgeschlossen blieb
der der Veröffentlichung seitens der Akademie der Lincei
noch harrende Bestand des neuen Museo suburbano in
der Villa di Papa Giulio. Dagegen hätten die hervor-
ragendsten der in der Stadt zerstreuten und allgemein
zugänglichen Bildwerke, wie die Kolosse von Monte
Cavallo, der Marc Aurel, die Pasquinogruppe u. a. sich
wohl noch in den Rahmen des Führers fügen lassen.

Die für ein solches Unternehmen zu treffende Aus-
wahl unterliegt selbstverständlich je nach Individualität
sehr verschiedener Beurteilung. Im großen und ganzen j
halte ich die von Heibig gegebene für zweckentsprechend,
wenngleich mir hier und da das antiquarische Interesse i
gegen das stilistische und künstlerische zu überwiegen
schien und manches nach meiner Meinung auch hätte weg-
bleiben können. Anderes dagegen hätte nach der Ten-
denz des Buches nicht übergangen werden sollen, wie
z. B. im Salone des kapitolinischen Museums der Apollo
mit dem Wasservogel, Overbeck Kunstmythol. V, S. 241, 5,
in der Sala degli Animali die stieropfernde Nike, im
Museo Chiaramonti die zuletzt von Eobert archäol.
Märchen, S. 192 ff. behandelte Eeliefdarstellung und das
Ikariosrelief, im Konservatorenpalast die neuerdings von
Winter im 50. Berliner Winckelmannsprogramm publi-
zirte Eeliefplatte, im Lateran die schöne dreiseitige
Basis, Benndorf-Schöne 460, oder das feine attische Be-
lief ebenda 482. Auch das anmutige Nymphenrelief
Chiaramonti XXV, 593 und das Spenderelief Museo Pio
Clem. V, 26 hätten Erwähnung verdient. Im Zimmer
der Philosophen des Kapitols sind mit Ausnahme
des Meleagersarkophags sämtliche Reliefs übergangen.
Hier wie bei anderen Weglassungen handelt es sich zum
Teil um vielbesprochene, schwer erklärbare Darstellungen,
über die es von besonderem Interesse gewesen wäre, die
Ansicht des Verfassers kennen zu lernen.

Unleugbare Vorliebe verrät sich für ikonographische

Fragen, ein Gebiet, das bekanntlich gerade Heibig viel-
fache Förderung dankt. Auch der Führer enthält eine
Anzahl, soviel ich sehe, neuer Porträtbestimmungen. So
die der beiden Kolossalköpfe im Hofe des Konservatoren-
palastes (532, 534) als August und Nero; die des va-
tikanischen sog. Zenon (287) als Aratos oder des Kopfes
der borghesischen Sitzfigur (934) als Thukydides. An-
deren herkömmlichen Deutungen wird entgegengetreten;
so bei Nr. 219 im vatikanischen Büstenzimmer (nicht
August, sondern hellenistischer Herrscher), bei Nr. 282
(der angeblichen Aspasia des Saals der Musen), bei der
Kolossalstatue im Palazzo Spada (946), deren Kopf, wie
Heibig schon an anderem Orte ausgeführt, nicht Pom-
pejus darstellt. Auch anonym bleibende oder ideale
Porträts sind zuweilen treffend (z. B. 79, 278), charak-
terisirt, und die in solchen Fällen nicht selten beliebte
drastische Darstellungsweise werden gewiss viele als be-
sondere Würze des Buches schätzen. Ich kann freilich
der Neigung des Verfassers, in der Bildung des Gesichtes
die überlieferten oder vorauszusetzenden Charaktereigen-
schaften mit mathematischer Sicherheit wiederzufinden,
nicht überall folgen, namentlich wo (wie z. B. bei 552)
mit einem solchen Versuche dem künstlerischen Ver-
mögen des Verfertigers zu viel Ehre angethan wird.

Die den römischen Antiken seit Jahrhunderten zu
Teil gewordene Aufmerksamkeit, die für jedes halbwegs
auffallende Detail eine gelehrte Erklärung suchen und
oft auf Kosten des gesunden Verstandes annehmen ließ,
birgt darum gerade bei diesem Material eine be-
sondere Gefahr für die Unbefangenheit des Urteils und
selbst des Blickes in sich. Um so anerkennender muss
es hervorgehoben werden, dass der Verfasser sich von
solchen nur durch die Tradition gestützten Erklärungen
im großen und ganzen frei gehalten hat. Nicht gering
ist die Zahl der von ihm selbst vorgeschlagenen oder be-
richtigten Erklärungen. So deutet er die weibliche
Kolossalbüste mit Schleier aus Villa Ludovisi (874) auf
Demeter, die „Sappho" der Villa Borghese (919) auf
Aphrodite, die Hermen des Laterans (636, 637) auf
Faunus mit weiblichem Gegenstück. Der Lysippische
Ei'os (426) spannt den eigenen, nicht des Herakles
Bogen, u. a. m. Auch an der Augustusstatue des Braccio
nuovo (5), deren Beschreibung zu den gelungensten des
Werkes zählt, werden Einzelheiten am Panzerschmuck
von Heibig anders als bisher gedeutet. Besondere
Hervorhebung verdienen noch die Behandlung der ele-
ganten weiblichen Gewandfigur der Kandelabergalerie
(379; von Heibig vermutungsweise auf Phryne bezogen),
der Gruppe im Kabinett der kapitolinischen Venus (452),
der sogen. Venus vom Esquilin (561), der kapitolinischen
Wölfin (612) u. a. Daneben fehlt es freilich nicht an
Fällen, wo der Verfasser mir allzuviel sehen oder er-
klären zu wollen scheint. So wenn in der vatikanischen
Gruppe des Nil (47) die Art, wie das Wasser neben
der Spitze des Füllhornes unter dem Gewände hervor-
 
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