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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0187

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361

Bücherschau.

362

Warburg legt uns nahe, dass sie das Porträt der
Sirnonetta Vespucci sein könnte. Diese anmutige,
von Giuliano Medici verehrte junge Frau erlag drei-
undzwanzigjährig der Schwindsucht und wurde von
Polizian als Nymphe Sirnonetta in seiner Giostra,
dem Festgedicht auf ein Turnier eben dieses Giu-
liano, besungen. Für Giuliano ist auch offenbar
das Bild gemalt worden, welches diese Liebesepisode
künstlerisch verewigt und »wenn man sich denkt,
dass das .Reich der Venus' seine Veranlassung in
einem ernsten Erlebnisse hat, so lässt sich auch
Haltung und Stellung der Venus eher verstehen,
sie blickt den Beschauer ernst an, den Kopf beugt
sie etwas nach ihrer rechten Hand hin, die sie
mahnend erhebt!"

Nun kommen wir zu dem, was bei Warburg
im Vordergründe der ganzen Untersuchung steht:
zum Einfluss der Antike. Wir sind gewohnt, diesen
in hundert einzelnen Zügen zu erkennen und wenn
der Nachweis versucht wird, dass sich die Renais-
sance an antike Vorbilder anlehnte, „wenn es sich
um die Darstellung äußerlich bewegten Beiwerkes
— der Gewandung und der Haare — handelte," so
können wir dem nur zustimmen, weil es in der
That auffällig ist, in der Renaissance bei gewissen
bewegten Figuren so viel Anlehnung an die Antike
zu finden. Es bleibt aber ein besonderes Verdienst
des Verfassers, den Einfluss des bewegten Beiwerkes
mit einer staunenswerten Sachkenntnis und einer
weiten Belesenheit Schritt für Schritt in verschie-
denen Einzelfällen nachgewiesen zu haben. Mit
sicherer Hand geleitet er uns zu den Parallelen
zwischen den Dichtern und Künstlern des Alter-
tums mit denen des Quattrocento, welche durchweg
eine Abhängigkeit der Neuen von den Alten in
Sachen der Bewegung verraten.

Die Untersuchung bringt so greifbare Resul-
tate auf einem Gebiete, auf welchem man sich bisher
mit dem richtigen Gefühle begnügte, dass man dem
Verfasser wirklich Glück dazu wünschen kann, mit
einer Erstlingsarbeit einen Schatten kunstwissen-
schaftlicher Erkenntnis mit festem Strich zur Sil-
houette ausgebildet zu haben.

MARC ROSEXBERG.

Lehrbuch der gotischen Konstruktionen von G. Un-
geteilter. III. Auflage. Neu bearbeitet von K. Mohrmann,
Prof. an der techn. Hochschule zu Riga. Mit über 1200
Abbild, im Text und auf Tafeln. Leipzig, T. 0. Weigel
Nachfolger (Chr. Herrn. Tauchnitz) 1889—1892.

Die Würdigung dieser neuen Ausgabe des Ungewitter'schen
Werkes ist in Bezug auf Einteilung, Inhalt und wissen-
schaftliche Bedeutung durch die Fachpresse in erschöpfender

und sachkundigster Weise erfolgt. Dazu kommt der didak-
tische Wert der Arbeit, der in der täglichen Unterrichtspraxis
zu Tage tritt. Den älteren Kollegen, welche sich mit dem
Studium der ersten beiden Auflagen befasst haben, wird, wie
dem Unterzeichneten, dieses Studium sauer genug geworden
sein, insofern der breite Stil der Ableitungen und die in
einem Atlas vereinigten, nur mühsam zu benutzenden Illu-
strationen unverhältnismäßig viel Kraft und Zeitaufwand
beansprucht hatten. Das war um so empfindlicher, je mehr
die neueren Erscheinungen der Litteratur auf den anderen
technischen Gebieten bestrebt waren, ihren Inhalt in ge-
drängtester Kürze und Übersichtlichkeit dem Leser vorzu-
führen. Wohl so mancher, der mit Feuereifer an das Werk
herantrat, wird alsbald erlahmt sein, und von den Studirenden
darf ohne Übertreibung behauptet werden, dass unter hundert
höchstens einer ganz bis zum Ende damit gekommen ist.
Meister Ungewitter hatte sich in seinem Buche die undank-
bare Aufgabe gestellt, junge Männer mit wenig mehr als
Volksschulbildung zu Architekten zu erziehen, und war da-
durch gezwungen, vieles aufzunehmen, was unsere heutigen
Studirenden teils von der Mittelschule her mitzubringen,
teils von anderen, als den Fachprofessoren an der Hochschule
zu erlernen pflegen. So sind die ermüdenden Weiterungen
in seinem Werke zu erklären. Wie ganz anders in der von
Mohrmann neu bearbeiteten dritten Auflage! Man kann jetzt
alles lesen, sehen, verstehen. Was früher nur zu ergrübein
war, das erfasst sich jetzt leicht, wie von selbst. Das Buch
ist, kann man sagen, zur guten Hälfte neu und dem heutigen
Wissen, insbesondere der Bedeutung der Statik und Mechanik
unseres 19. Jahrhunderts nach allen Seiten hin gerecht ge-
worden. Dabei ist jeder überflüssige Ballast vermieden und
wird jeder, der die Notwendigkeit theoretischer Kenntnisse
für den gebildeten Architekten unserer Tage anerkennt, zu-
geben müssen, dass in diesem Werke Theorie und Praxis
in glücklichster Mischung und weiser Abwägung vereinigt
erscheinen. Wenn es schon für den erfahrenen Architekten,
der gewohnt ist, unvermittelt zu arbeiten, erfrischend und
anregend wirkt, in dem Buche nachzulesen und damit von
Zeit zu Zeit den Kanon seiner Kunst in sich zu erneuern,
oder um mit einem verstorbenen Heros unseres Faches zu
sprechen, sich bei solcher Lektüre „auf die Nieren zu prüfen",
so gilt das ganz besonders von den jüngeren Architekten und
Studirenden, denen es darum zu thun ist, mehr und mehr
in das innerste Wesen der gotischen Baukunst einzudringen.
Der Architekturunterricht an unseren Hochschulen ist nun
einmal durch die übrigen, nicht zu umgehenden Fächer mehr
oder weniger eingeengt und kann sich nicht in dem Maße
entfalten, wie das etwa auf Akademieen der Fall ist. weshalb
es auch den betreffenden Professoren sehr schwer wird, in den
knapp zugemessenen Unterrichtsstunden eine nach allen Seiten
abgerundete und im Detail erschöpfende Entwickelung der
Bauformen zu geben. Hier tritt als hochwillkommener Helfer
in der Not die neueste Mohrmann'sche Bearbeitung auf, der
man mit Recht, wie früher geschehen, den Ehrentitel eines
deutschen Viollet-le-Duc zuerkennen darf, ja, die dieses
einzige Werk des großen französischen Meisters an gedrängter
Kürze und wissenschaftlicher Vertiefung noch erheblich über-
ragt. Wie sehr Mohrmann mit seiner Arbeit das Richtige
getroffen hat, dafür geben unsere Schulbibliotheken eine
drastische Illustration, in denen die seitherigen Auflagen
unbenützt vergilben, während die neue Ausgabe dauernd
vergriffen oder belegt ist; und wenn früher ganze Jahrgänge
von Studirenden das Ungewitter'sche Werk kaum dem Titel
nach gekannt haben, sieht man dasselbe jetzt mehr und
mehr auf den Arbeitstischen in den Zeichensälen liegen. Ein
 
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