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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

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Wurzbach, Alfred von: Der Stecher W.
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https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0225

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437

Der Stecher W.

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Architekt gewesen sein muss, bethätigen die mannig-
faltigen Erker und Brunnen etc., die uns unter den

Blättern des W Q begegnen. In jedem Kupferstecher

einen Goldschmied sehen wollen, nur deshalb, weil
die Kopisten Israhel van Meckenen, Bocholt und
Wenzel eingestandenermaßen Goldschmiede gewesen,
hat doch keine Berechtigung. Kennen wir doch
Schongauer und Dürer als Maler, Jörg Syrlin und
Veit Stoß als Bildschnitzer und Bildhauer; und diese

Baldachine der Stecher W und W ^ sind offenbar

Arbeiten eines ebenso bedeutenden Künstlers, wie
jene es gewesen sind, nicht aber Arbeiten eines
Kopisten oder Goldschmiedes, recte Handwerkers.
Zum Beweise, dass es schöpferische Künstlerphan-
tasie, nicht aber handwerkliche Goldschmiedsarbeit
ist, die uns da vorliegt, erinnere ich an die ganz
ähnlichen architektonischen Konstruktionen Makart's.

Bei näherer Untersuchung dieser Baldachine
wird es sich aber ergeben, dass das hinter dem W

stehende Zeichen ^, welches sogar auf einem Blatte

(B. 23) vor dem W steht, nur den späteren Re-
toucheur bedeutet, in dessen Hände die ganz unbe-
zeichneten Baldachine (B. VI, p. 341, N. 55, 56, 57)
und jene nur mit einem W bezeichneten infolge eines
uns unbekannten Umstandes nicht gelangten.

Ebenso fraglich ist die Urheberschaft Wenzel's
bei einem anderen Blatte, dem heil. Paulus (Lehrs,
N. 46).1) Lehrs sagt: „Diese groteske Apostelfigur
in ihrer stark bewegten Haltung scheint nach einer
Holzskulptur gestochen zu sein", eine Vermutung,
welche vielleicht ihre Berechtigung hat. Dann aber
rührt dieses Blatt gewiss nicht von dem Kopisten
Wenzel her, denn nach einer Holzskulptur stechen,
heißt nach einem Körper selbständig zeichneu, und
so viel künstlerisches Können mute ich dem Wenzel
nicht zu, denn sie ist so originell und sicher ge-
stochen, dass sie unmöglich von dem Stümper her-
rühren kann, der in der Dürer-Kopie: „Die Dame
zu Pferd" (Lehrs, N. 62) die Fußspitze des Lanz-
knechts abschneidet, weil er den ganzen Fuß nicht
mehr auf der Platte unterbringen konnte.

Noch weit sonderbarer ist das Verhältnis jener
Blätter sowohl zu Wenzel als untereinander, welche
Lehrs als Kopieen nach dem Meister PW bezeichnet.

1) Reproduzirt in C. v. Lützow: Geschichte des deut-
schen Kupferstichs, S. 47, N. 20.

Wir wissen, wer der Meister PW ist; das heißt
wir wissen es nicht, aber es ist uns bekannt, dass
er den sogenannten Schweizerkrieg (Pass. II, p. 159),
ein rundes Kartenspiel, und noch ein paar andere
Blätter gestochen hat, die seine schweizerische Ab-
kunft hinlänglich verraten, obgleich die Wasser-
zeichen seiner Drucke zu dem merkwürdigen Schlüsse
geführt haben, dass er ein Kölner sein müsse. Lehrs
sagt, dass Wenzel den Meister PW mit Vorliebe
kopirte, und er bezeichnet auch 11 Blätter als solche
Kopieen nach dem Meister PW.

Die erste ist: Die Madonna auf dem Rasen
(L. 8). Lehrs sagt: „Kopie vielleicht nach dem
PW." Die zweite ist: Die Madonna vor der Wein-
laube, von 2 Engeln gekrönt (L. 11). Auch hier
heißt es: „yietteieht nach einem Stich des kölnischen
Meisters PW." Die dritte ist: Die Beweinung
Christi (L. 31). Hier heißt es wieder: „Vielleicht
nach einem verschollenen Stich des Meisters PW."

Die heilige Ursula (L. 57) ist für Lehrs: „un-
verkennbar die Kopie eines verschollenen Originals
des Meisters PW von Köln." Die Gold wägerin (L.
61) geht für Lehrs wie N. 57 „auf ein verschollenes
Original des Meisters PW zurück." Aristoteles und
Phyllis (L. 65) „ist eine Kopie nach dem Meister
PW" sagt Lehrs; — in Wahrheit ist es eine Kopie
nach einem unbezeichneten Blatte, über welches sich
Bartsch (X, p. 52, N. 27) mit der größten Vorsicht
äußert: „Ce morceau est tellement dans le goüt de
M. Schongauer qu'on est tente de Ten croire l'Auteur"
und Passavant (II, p. 114) pflichtet ihm hierin voll-
kommen bei.

Bei der Lautenschlägerin (L. 17) ist es die-
selbe willkürliche Zuweisung des angeblichen (aber
nicht vorhandenen) Originals an den Meister PW.
Uber dieses Blatt äußert sich Bartsch (VI, p. 343),
nachdem er es als eine „Piece douteuse" für das
Werk Wenzel's bezeichnet: „Ce morceau etant essen-
licllcment different des autres estampes gravees par
W. d'Olmutz, et pour le dessein et pour la taille,
nous n'osons pas l'attribuer ä ce maitre." Bartseh
glaubt somit gar nicht, dass dieses reizende Blatt,
obwohl es mit W bezeichnet ist, von dem Wenzel
herrühren könne, und bezweifelt, dass es überhaupt
eine Kopie sei, was auch gar nicht nachzuweisen ist.

Von den vier Ornamenten (L. 88, 89, 90 und
91) ist nur die Querfüllung kugeliger Blattenden
(L. 88), auf ein mit PW bezeichnetes Blatt zurück-
zuführen, es ist aber sehr fraglich, ob die unbezeich-
nete Kopie auch wirklich von der Hand Wenzel's
ist; und in dem Original der Hochfüllung mit
 
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