Die Große Berliner Kunstausstellung.
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Einsendung von abgeschlossenen Kompositionen ver-
standen. Statt uns sein großes, in vielem Betracht
ausgezeichnetes Bild des heiligen Georg zu schicken,
hat uns Ludwig Herterich im vorigen Jahre mit
einer grob hingestrichenen Skizze, in diesem Jahre
mit einer noch flüchtigeren Studie des Heiligen in
halber Figur abgespeist. Was er sonst noch an
landschaftlichen Studien ausgestellt, ist so gering-
fügig, so schludrig behandelt, dass man sich schließ-
lich der Vermutung nicht erwehren kann, dass die
Münchener Sezessionisten geglaubt haben, für die
Berliner Ausstellung wäre das Schlechteste gerade
gut genug.
Wir wollen diesen Faden nicht weiter spinnen,
um nicht bei diesem überaus unerquicklichen Streit
noch mehr Ol ins Feuer zu gießen. Wir dürfen
aber nicht verschweigen, dass es sich dabei nicht
etwa allein um künstlerische Gegensätze handelt, um
einen Kampf zwischen der alten und der neuen
Richtung, sondern viel mehr um Personenfragen, die
zuerst in München und dann in Berlin Widerhall
gefunden haben. Es ist der Kampf der Revolution
gegen die Autorität, der Unabhängigkeit gegen die
Uberlieferung, die auf den Lehranstalten der Staaten
gepflegt wird. Die einheimischen und die auswär-
tigen Mitglieder des Vereins der Sezessionisten sind
durch kein engeres Band vereinigt. Wie bunt-
scheckig siet aussehen, wie sehr sie sich wider-
sprechen, wie der eine hochhebt, was der andere mit
Füßen tritt, das zum erstenmal klar enthüllt zu
haben, ist das vornehmste Verdienst der durch keine
Schranken gehemmten Ausstellung der Münchener
Sezessionisten in Berlin. Man kann sich z. B. keine
größeren Gegensätze denken, als sie unter den in
Berlin im Gefolge der Sezessionisten erschienenen
Franzosen G. Dubufe der jüngere, Dagnan-Bouveret
und Gustav Courtois einerseits und F. A. Besnard
andrerseits bezeichnen. Dubufe, ein beliebter Por-
trätmaler der eleganten Welt, ist auch in seinen
nackten Frauen- und Mädchengestalten, von denen
er eine in Berlin, eine Allegorie der „Cigale" (Grille)
nach Lafontaine^ Fabel — merkwürdigerweise ohne
das Seitenstück der „Ameise" — ausgestellt hat,
ein Vertreter jener gepuderten, etwas süßlichen und
fast konventionellen Eleganz, die von niemand so
sehr verabscheut wird wie von den Münchener Na-
turalisten, die doch unter den Sezessionisten das
große Wort führen. Dagnan - Bouveret's ganz in
weißgelbe Gewänder gekleidete, holdselige Madonna,
die mit dem Kinde unter einem mit Weinblättern
bedeckten Laubengange einherwandelt, darf man als
den Gipfelpunkt der modernsten Entwicklung der
Hellmalerei im Sinne der Florentiner des 15. Jahr-
hunderts betrachten, und das Bildnis eines jungen
schwarzlockigen Künstlers von Courtois ist eine
durch und durch gesunde Malerei alten Stils, die
ohne jede Flunkerei, ohne jede Koketterie mit mo-
dischen Manieren das Urbild schlicht und wahr
wiedergiebt. Besnard's „Sirene" dagegen ist heraus-
fordernd und brüskirend in jedem Pinselstrich: ein
oberhalb nur mit einem Hemd, unterwärts mit
einem schmutzig - braunen, schlumpigen Rock be-
kleidetes Mädchen von gemeinem Ausdruck in den
groben Zügen zeigt dem Beschauer grinsend die
Zähne. Die sich hinter der Dirne tief in das Bild
hineinziehende Fläche, die aus lauter rosenfarbenen
und hellvioletten Tupfen zusammengestrichen ist,
soll das Meer darstellen, an dessen Strande die
„Sirene" steht. Es ist bekannt, dass diese Phantas-
magorieen, diese abenteuerlichen Visionen, in denen
sich „das Recht der Individualität" schon bedenk-
lich der Tollheit ohne Methode nähert, in München
viele Bewunderer und Adepten gefunden hat. Es ist
ein wahrer Beleuchtungstaumel, eine Art Feuer-
werkerei ausgebrochen, und selbst ein Künstler wie
Max Kling er, der sich sonst in die tiefsten Gründe
der menschlichen Seele, in die geheimnisvollsten
Spekulationen des menschlichen Gehirns zu ver-
senken liebt, hat dieser Tagesmode in dem Bilde
„L'heure bleue" ein Opfer gebracht. Der franzö-
sische Titel des Bildes ist anscheinend gewählt, um
an ein Bild gleichen Namens von Besnard zu er-
innern. Klinger scheint mit der „blauen Stunde"
eine gewisse Abendstunde zu meinen, wo auf süd-
lichen Meeren Lichtwirkungen entstehen, wie er sie
hier auf den Körpern der drei nackten Mädchen sich
widerspiegeln lässt, die anscheinend beim Baden auf
einer Klippe Rast gemacht haben. Vielleicht hat
er auch an die drei Sirenen der griechischen Sage
gedacht, obwohl die drei Gestalten nichts im Sinne
der Mythe Verlockendes an sich haben. Die eine
steht hoch aufgerichtet, mit aufwärts blickendem
Haupte, die Hände über dem Nacken verschränkt,
während die beiden anderen auf dem Felsen in so
verzwickten Stellungen liegen und hocken, dass man
nur mit Mühe die einer jeden gehörigen Glied-
maßen herausfindet. Die Hauptsache sind aber die
bläulichen, roten und violetten Reflexe, die vom
Meere her die drei nackten Körper bestrahlen. Ein
zweites Bild Klinger's, eine Pietä, die Beweinung des
neben dem Marmorsarkophage ausgestreckten Leich-
j nams Christi durch Maria und Johannes, zeigt uns
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Einsendung von abgeschlossenen Kompositionen ver-
standen. Statt uns sein großes, in vielem Betracht
ausgezeichnetes Bild des heiligen Georg zu schicken,
hat uns Ludwig Herterich im vorigen Jahre mit
einer grob hingestrichenen Skizze, in diesem Jahre
mit einer noch flüchtigeren Studie des Heiligen in
halber Figur abgespeist. Was er sonst noch an
landschaftlichen Studien ausgestellt, ist so gering-
fügig, so schludrig behandelt, dass man sich schließ-
lich der Vermutung nicht erwehren kann, dass die
Münchener Sezessionisten geglaubt haben, für die
Berliner Ausstellung wäre das Schlechteste gerade
gut genug.
Wir wollen diesen Faden nicht weiter spinnen,
um nicht bei diesem überaus unerquicklichen Streit
noch mehr Ol ins Feuer zu gießen. Wir dürfen
aber nicht verschweigen, dass es sich dabei nicht
etwa allein um künstlerische Gegensätze handelt, um
einen Kampf zwischen der alten und der neuen
Richtung, sondern viel mehr um Personenfragen, die
zuerst in München und dann in Berlin Widerhall
gefunden haben. Es ist der Kampf der Revolution
gegen die Autorität, der Unabhängigkeit gegen die
Uberlieferung, die auf den Lehranstalten der Staaten
gepflegt wird. Die einheimischen und die auswär-
tigen Mitglieder des Vereins der Sezessionisten sind
durch kein engeres Band vereinigt. Wie bunt-
scheckig siet aussehen, wie sehr sie sich wider-
sprechen, wie der eine hochhebt, was der andere mit
Füßen tritt, das zum erstenmal klar enthüllt zu
haben, ist das vornehmste Verdienst der durch keine
Schranken gehemmten Ausstellung der Münchener
Sezessionisten in Berlin. Man kann sich z. B. keine
größeren Gegensätze denken, als sie unter den in
Berlin im Gefolge der Sezessionisten erschienenen
Franzosen G. Dubufe der jüngere, Dagnan-Bouveret
und Gustav Courtois einerseits und F. A. Besnard
andrerseits bezeichnen. Dubufe, ein beliebter Por-
trätmaler der eleganten Welt, ist auch in seinen
nackten Frauen- und Mädchengestalten, von denen
er eine in Berlin, eine Allegorie der „Cigale" (Grille)
nach Lafontaine^ Fabel — merkwürdigerweise ohne
das Seitenstück der „Ameise" — ausgestellt hat,
ein Vertreter jener gepuderten, etwas süßlichen und
fast konventionellen Eleganz, die von niemand so
sehr verabscheut wird wie von den Münchener Na-
turalisten, die doch unter den Sezessionisten das
große Wort führen. Dagnan - Bouveret's ganz in
weißgelbe Gewänder gekleidete, holdselige Madonna,
die mit dem Kinde unter einem mit Weinblättern
bedeckten Laubengange einherwandelt, darf man als
den Gipfelpunkt der modernsten Entwicklung der
Hellmalerei im Sinne der Florentiner des 15. Jahr-
hunderts betrachten, und das Bildnis eines jungen
schwarzlockigen Künstlers von Courtois ist eine
durch und durch gesunde Malerei alten Stils, die
ohne jede Flunkerei, ohne jede Koketterie mit mo-
dischen Manieren das Urbild schlicht und wahr
wiedergiebt. Besnard's „Sirene" dagegen ist heraus-
fordernd und brüskirend in jedem Pinselstrich: ein
oberhalb nur mit einem Hemd, unterwärts mit
einem schmutzig - braunen, schlumpigen Rock be-
kleidetes Mädchen von gemeinem Ausdruck in den
groben Zügen zeigt dem Beschauer grinsend die
Zähne. Die sich hinter der Dirne tief in das Bild
hineinziehende Fläche, die aus lauter rosenfarbenen
und hellvioletten Tupfen zusammengestrichen ist,
soll das Meer darstellen, an dessen Strande die
„Sirene" steht. Es ist bekannt, dass diese Phantas-
magorieen, diese abenteuerlichen Visionen, in denen
sich „das Recht der Individualität" schon bedenk-
lich der Tollheit ohne Methode nähert, in München
viele Bewunderer und Adepten gefunden hat. Es ist
ein wahrer Beleuchtungstaumel, eine Art Feuer-
werkerei ausgebrochen, und selbst ein Künstler wie
Max Kling er, der sich sonst in die tiefsten Gründe
der menschlichen Seele, in die geheimnisvollsten
Spekulationen des menschlichen Gehirns zu ver-
senken liebt, hat dieser Tagesmode in dem Bilde
„L'heure bleue" ein Opfer gebracht. Der franzö-
sische Titel des Bildes ist anscheinend gewählt, um
an ein Bild gleichen Namens von Besnard zu er-
innern. Klinger scheint mit der „blauen Stunde"
eine gewisse Abendstunde zu meinen, wo auf süd-
lichen Meeren Lichtwirkungen entstehen, wie er sie
hier auf den Körpern der drei nackten Mädchen sich
widerspiegeln lässt, die anscheinend beim Baden auf
einer Klippe Rast gemacht haben. Vielleicht hat
er auch an die drei Sirenen der griechischen Sage
gedacht, obwohl die drei Gestalten nichts im Sinne
der Mythe Verlockendes an sich haben. Die eine
steht hoch aufgerichtet, mit aufwärts blickendem
Haupte, die Hände über dem Nacken verschränkt,
während die beiden anderen auf dem Felsen in so
verzwickten Stellungen liegen und hocken, dass man
nur mit Mühe die einer jeden gehörigen Glied-
maßen herausfindet. Die Hauptsache sind aber die
bläulichen, roten und violetten Reflexe, die vom
Meere her die drei nackten Körper bestrahlen. Ein
zweites Bild Klinger's, eine Pietä, die Beweinung des
neben dem Marmorsarkophage ausgestreckten Leich-
j nams Christi durch Maria und Johannes, zeigt uns