Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 4.1893

DOI Artikel:
Rosenberg, Adolf: Die grosse Berliner Kunstausstellung, [3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5367#0256

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
499

Die Große Berliner Kunstausstellung.

500

Genialität den Ausschlag geben, und wenn man
Lenbach preist und feiert, ist damit noch nicht sein
Nachahmer Leo Samberger gerettet, der den Gesichts-
ausdruck bis zur Fratze, bisweilen auch zur unbeab-
sichtigten Karikatur steigert und das Clairobscur
Leubach's zu jenem mystischen Halbdunkel umwan-
delt, das besonders den Geisterbeschwörungen der
Zauberkünstler zuträglich ist.

Dass in Berlin gerade für den Mysticismus in
der Porträtmalerei, mag er sich nun im Mantel des
romantischen Kolorits oder im unsicheren Nebel des
Naturalismus zeigen, kein Boden ist, das liegt in
der Luft, in der Großstadtluft, die die Augen der
Menschen an scharfe Umrisse und helle Gesichter
gewöhnt. Eine Berliner Rasse giebt es längst nicht
mehr, eine Familienüberlieferung auch nicht; aber
die Grundstimmung, die schon vor siebzig Jahren
der falschen Romantik feindselig war, die schließ-
lich den Dunst, der über dem deutschen Volksgeiste
lagerte und ihn an jedem Aufschwünge hemmte, ver-
trieben hat, ist geblieben. Sie verhält sich hart
und ablehnend gegen alle unklaren künstlerischen
Bestrebungen; aber wir dürfen sie darum nicht un-
künstlerisch an und für sich schelten. Denn ihrer
hartnäckigen Reaktion verdanken wir — um nur
ein Bestes zu nennen — das Werden und Wachsen
eines Menzel, der, beiläufig bemerkt, nachträglich
noch einen seiner intimen Ausschnitte aus den Er-
eignissen eines Ballabends im königlichen Schlosse
ausgestellt hat.

Dass in einer solchen Atmosphäre Bildnismale-
rinnen, wie die in Paris gebildete Bora Ilitz, die
von Dresden nach Berlin übergesiedelt ist, nicht
gedeihen können, darf nicht Wunder nehmen. Berlin
ist immer noch mehr klassisch als romantisch ge-
stimmt, steht mehr auf dem historisch gewordenen
Boden als auf dem schwankenden Gerüst des „Neu-
idealismus", und wenn es nach diesen Anschau-
ungen auch den neuesten Bildnissen Max Lieber-
mann's noch nicht einen gleichberechtigten Platz
neben den Meisterwerken eines Frans Hals, trotz
der Beredsamkeit einflussreicher Kunstgönner und
Kenner einräumen will, so weiß es doch mit rich-
tigem Instinkt herauszufinden, dass Bildnisse wie
die des Pfarrers Haller und des Prinzen von Sachsen-
Altenburg vom Grafen Ilarrach, der damit der Tem-
peratechnik nach Pereira'schem Rezept vornehme und
ruhige Wirkungen in hellen wie in tiefen Tönen
abgewonnen hat, das des verstorbenen Reichstags-
abgeordneten Peter Reichensperger von Hubert Gölz
einem jungen Maler, der darin die erste Probe eines

staunenswerten Fleißes, einer bereits zur Meister-
schaft gediehenen Sicherheit in Zeichnung und
Modellirung bietet, das einer jungen Dame in
schwarzem Jackett und weißem Kleide von Fenner-
Behmer, das des Präsidenten der Kunstakademie
Karl Becker von Ernst Ilildebrand, das Bildnis
eines jungen Mädchens von dem seit drei Jahren
in Berlin ansässigen ungarischen Maler Leopold IIo-
rowitz und das große Bildnis eines Kinderpaares
von der Holländerin Therese Schwartze künstlerische
Qualitäten besitzen, die sich als Erzeugnisse ein-
dringlicher Studien nach alten Meistern, nach Hol-
bein, Tizian, van Dyck u. a. zu erkennen geben,
aber doch jenen persönlichen, in diesem Falle durch
und durch modernen Zug an sich haben, der den
schöpferischen Künstler von dem nachahmenden
unterscheidet.

Wenn wir allen hervorragenden Bildnismalern
gerecht werden wollten, müssten wir eine lange
Liste folgen lassen. Wir begnügen uns darum mit
der Erwähnung solcher, die nicht bloß Gutes, son-
dern auch Hervorragenderes als früher geschaffen
und zugleich den Vorzug eines geistig oder körper-
lich interessanten Modells gehabt haben: zuerst
Max Koner mit den schon erwähnten Pastellbild-
nissen der Maler Bracht und Brausewetter, dann
Hans Fechner (Porträt des Schriftstellers Wilhelm
Raabe), Ernst Hemeler, der Genremaler, dessen Bild-
nis des Dichters HofFmann von Fallersleben in seinem
Arbeitszimmer auf Schloss Corvey ein Meisterwerk
intimer Charakteristik ist, Hugo Vogel (Bildnis des
Oberbürgermeisters von Magdeburg, Bötticher), Hugo
Grola in Düsseldorf R. Warthmüller, R. Lepsius (Pro-
fessor Ernst Curtius) und ff. Biermann (Professor
R. Lepsius).

Man mache nur einmal, wie es in Paris und
Brüssel geschehen ist, den Versuch, eine Anzahl
von Bildnissen, wie die obengenannten, nach strenger
Auswahl zu einer intimen Sonderausstellung zu ver-
einigen, und man wird sehen, dass die deutsche
Bildnismalerei, soweit es sich um Menschen und
Charaktere, nicht um Modepuppen und Toiletten
handelt, mit der englischen und französischen auf
gleicher Höhe steht, auch in der Technik. Nur an
dem Ungeschick, das unsere öffentlichen Ausstel-
lungen zumeist verdirbt, in erster Linie aber an
dem Mangel an Nationalitätsgefühl liegt es, dass im
Auslande die deutsche Bildnismalerei mit wenigen
Ausnahmen als untergeordnete Handwerksarbeit be-
trachtet wird.

Eine noch höhere Stellung nimmt die Land-
 
Annotationen