Industrie hineinkommen muß — ein Llement, das den
deutschen Geist unserer Tage wiederspiegelt. Leider
legt man auf den ornamentalen Schwulst noch immer
den Hauxtnachdruch und so läßt sich nicht leugnen,
daß sich stellenweise eine große Überladung geltend
macht, die keinen angenehmen Lindruck erweckt, sou-
dern nur das verlangen nach größerer Linfachheit
und schärferer Betonung der Brauchbarkeit anregt.
* Nktademiscber Waukunsl auk dem Dorke widmet
O. Gruner im „Zivilingenieur" einen Aufsatz, der sich
in seinen Absichten nahe mit früheren Beiträgcn des „Kunst-
gewcrbes" berührt. Bespricht Gruner anch zunächst im Hinblick
auf sächsische Vcrhältnisfc die Ursachen der Übelständc, so
trifft doch sehr vicles von dem, was er sagt, auch auf
andere unserer dcntschcn Vaterländcr zu:
Wer währcnd des Sommers nnsere Sächsische Schwciz
durchstreift, wird auf dcu steil zur Höhe führendeu Straßen
ab und zu Fuhrwcrken begcgncn, auf denen mit vicr und
sechs Pferdcn Zicgclstcine aus den Thälern uach den Hoch-
ebenen befördcrt wcrdcn. Diesc mühsam und kostspiclig
hcrbeigeschlepptcn Baumaterialien sind keiueSwegs sür spezielle
Zwecke bestimmt, ivo sie unentbehrlich wären, sondcrn sie
dienen bei den gewohnlichen ländlichen Wohnhäusern als
Material zu llmfassungs- und Scheidewändeu. Derartige
Transpvrte führen an den Brüchen vorbei, wo an den
Abhängen, also nähc dcm Bauplatze, der schönste Sandstcin
gewonucn wird, vorbci au dcn Bruchhalden, wo durchaus
brauchbarc Abfällc umsonst zn habeu wären, vorbei
endlich an den Wäldcru mit dem herrlichsten Rohmaterial
nnd an dcn Sägemühlcu mit den fertig zugeschnittenen
Bauhölzern! Durchwandert man ferner die Dörfer unsercs
Erzgebirgcs, so empfängt man häufig den Eindruck der
Armutei und dcr Verkommenheit, auch bei umfänglichen
Gebäuden und Gchöftcu, wenn man sieht, wie der Stall-
dunst die Mauern durchfeuchtet und durchseucht, daß sie
aussehen, wic mit Jauchc getränkt; wie diese Schandflecke
sich bis zu den Wohn- und Schlafräumen unter demselben
Dache verbreiten, daß man nur mit Grauen daran denken
könute, selbst hier hausen zu müssen, und wie der Kalkputz in
großcn Schildcrn herabfällt, den Eindruck der Verwähr-
losung voll zu machcn. Selbst ein niederländisches Maler-
augc würdc einer solchcn Dorfszenerie nichts Anziehendes
abgewinnen, denn unsercn modernen Bauernhäusern fehlt
dic grüne Stasfage der Spaliere und Schutzbäume, die
Farbenharmonie, vic sich ans bemvostem Strohdach, sonncn-
gebräuntem Holzwcrk und grauem Steingemäuer ergiebt —
ja, es fehlt ihncn sogar der Wechsel von Licht und Schatten,
weil sie keine ausladcnden Schirni- und Sparrendächer,
keinc Galcrien oder Freitreppeu, nicht einmal mehr Dach-
vorsprüngc an den häßlich abgehackten Giebeln erhaltcn.
Farblos, glatt, symmetrisch und ledern: das ist die Signatur
unsercr sächsischen Dorfhäuser, soweit sie neuercn Ursprungs
sind. Sclbst nnsercn zutraulichen Hausgenossen: den
Schwalben, die sonst an keinem Bauernhause fehlten, sind
die Neubauten auf dem Dorfc zu ungemütlich gewordcn.
Und betritt man dann das Jnnere eines solchen Hauses,
so erstaunt man übcr den Mangel jedweder charakteristischen
Anordnung: wo man ein geräumiges Vorhaus tdie nieder-
sächsische „Diele") erwartet, geeignet zu allerlei'häuslichen
Vorrichtungen, findct man denselben unglückseligen kegel-
schubartigen Gang mit vielen Zimmerthüren, der unsere
städtischen Miethäuser so kasernenmäßig macht; wo man
eine breitc, luftigc Treppcnanlage sucht, findet man eine
kümmerliche Stiege zwischen beengenden Steinmaucrn, mit
halsgefährlichen, schmaleu und spitz auslaufenden Stufen;
die alten, herrlich kühlen „Gewölbe", in denen Speisen
und Getränke sich besser als in cincm Eisschranke erhiclten,
werden durch die jämmerlichcn „Speisckammcrn" crsetzt,
die ohnc jcdc Rücksicht auf die Himmelsrichtung dem
„schönen" Grundriß zulicbe an der warmen Küchenwand
angelegt, der „Symmetrie" zuliebe mit großen Fenstern
versehen, der „einhcitlichen Konstruktion" zuliebe mit Balkcn-
decke geschlossen werden. Moderne Wirtshäuser auf dcm
Landc zeigen zumeist dic unglückselige Vcrquickung städtischer
Restaurativncn und Tanzlokale niit den unkomfortabelsten
Fremdenstuben und schauderhaftcn Aborteu: dic unverstandenc
Kultur neben krasscr Urwüchsigkeit.
Wohcr rührt dieser bedaucrlichc Mangcl au Originalität,
Reiz und Stil, diescs Nachäffcn städtischer Anordnungen
und Fassadcn? — Wir glauben drei Ilrsachcn zu erkenneu.
— Als crste derselben sind dic für das plattc Land
geltenden Baup o lizeiv orschri ften zu bezeichneu. Die
Baupolizeiordnung für Dörfer, dic durch das Gesetz vom
6. Juli t8S3 eingeführt wurdc, gilt für alle Orte des
Königreiches gleichniäßig, einerlei ob sie in der tischflachen
Ebene LcipzigS vder in den Schluchten und auf dcn Höhen
des obcrcn Erzgebirges gelegcn siud. Ausnähmcn macheu
nur die Dörfer, welche dcn städtischcn Bauvorschriften
unterstellt sind oder für die eine Lokalbauordnung errichtet
worden ist. Beides bedeutet abcr in der Hauptsache nichts
anderes als weitgehende Zugeständnisse an dic.Ausnutzungs-
fähigkcit eines Neubaues, und doch geht diesc vhnehin schon
weit genug. Wird doch die geschlossene Bauweise für
Dörfer als sclbstverständlich angenommen (8 30 der Bau-
ordnung für Dörfer), — ja, es werden sogar (nach Z t 3)
Souterrainwohnungen und (nach H -tt) Dachwohnungen
in den Dörfern fast ohne Einschränkung zugelassen! Die
Folgeu dicscr Weitherzigkeit, der auf dem Lande das
regulirende Gegengewicht dcr Gesundheits- und Wohlfahrts-
polizei mcist gänzlich fehlt, kann man in den schlimmstcn
Übelständen wahrnehmen. Andercrseits stellt aber jdiese
selbe Baupolizeiordnung hinsichtlich der Abstände, Konstruktion
u. s. w. an die Gebäude Anforderungen, die sich jbei
wirklich ländlichen Berhältnisscn kaum rcchtfertigen lassen
und das gänzliche Erlöschcn des ländlichcn Baucharakters
nur zu sehr erklären. Wir führcn hier nur die wichtigsten
Bestimmungen an. WeichesDachbedeckungsmaterial
(Stroh, Rohr, Lehm- und Holzschindeln, sowie Holz-
bedeckungen aller Art u. dergl.) ist nur bei einzeln stehcnden,
von fremden mindestcns t?o m entfernten Gcbänden
gestattet (ß 3S). Gebäudc mit nicht niassiven II m-
fassungen müssen von nächsten fremden Gebäuden
mindestens 11,4 m entfernt bleiben; ist abcr das letztere
cinc Scheune oder hat es weiche Bedachung, so muß die
Entfernung 22,5 rn betragen! (Z 23.) Sollen Holz-
k o n strukti o n e n (Balken, Ilnterzügc, Trempcl- oder
Bundwände, sowic Ortgebinde und Sparrcn) mit den
Ilmfassungen in Verbindung treten, so müssen sie (nach
Z 22) an jeder Stelle des Gebäudcs nach außen hin
mindestens Vs Stein stark mit Ziegelmaiierwerk verkleidet
werden, dafern diese Ilmfassiingen uicht die crwähnten
Entfernungen (tt,l bezw. 22,5 m) crhalten! Hölzerne
Freitreppen unterliegen dcnselben crschwerendcn Be-
schränkungen (Z 35); zwischcn Wohnhaus und Scheune
sind, wenn nicht ein freier Abstand von mindesteiis 3,1 o m
vorhanden ist, Brandmauern aufzuführcn (Z zo). Die
in unseren sächsischen Dörfern nachgerade typisch werdende
häßliche Form von Seitengebänden (mit cinseitigem
deutschen Geist unserer Tage wiederspiegelt. Leider
legt man auf den ornamentalen Schwulst noch immer
den Hauxtnachdruch und so läßt sich nicht leugnen,
daß sich stellenweise eine große Überladung geltend
macht, die keinen angenehmen Lindruck erweckt, sou-
dern nur das verlangen nach größerer Linfachheit
und schärferer Betonung der Brauchbarkeit anregt.
* Nktademiscber Waukunsl auk dem Dorke widmet
O. Gruner im „Zivilingenieur" einen Aufsatz, der sich
in seinen Absichten nahe mit früheren Beiträgcn des „Kunst-
gewcrbes" berührt. Bespricht Gruner anch zunächst im Hinblick
auf sächsische Vcrhältnisfc die Ursachen der Übelständc, so
trifft doch sehr vicles von dem, was er sagt, auch auf
andere unserer dcntschcn Vaterländcr zu:
Wer währcnd des Sommers nnsere Sächsische Schwciz
durchstreift, wird auf dcu steil zur Höhe führendeu Straßen
ab und zu Fuhrwcrken begcgncn, auf denen mit vicr und
sechs Pferdcn Zicgclstcine aus den Thälern uach den Hoch-
ebenen befördcrt wcrdcn. Diesc mühsam und kostspiclig
hcrbeigeschlepptcn Baumaterialien sind keiueSwegs sür spezielle
Zwecke bestimmt, ivo sie unentbehrlich wären, sondcrn sie
dienen bei den gewohnlichen ländlichen Wohnhäusern als
Material zu llmfassungs- und Scheidewändeu. Derartige
Transpvrte führen an den Brüchen vorbei, wo an den
Abhängen, also nähc dcm Bauplatze, der schönste Sandstcin
gewonucn wird, vorbci au dcn Bruchhalden, wo durchaus
brauchbarc Abfällc umsonst zn habeu wären, vorbei
endlich an den Wäldcru mit dem herrlichsten Rohmaterial
nnd an dcn Sägemühlcu mit den fertig zugeschnittenen
Bauhölzern! Durchwandert man ferner die Dörfer unsercs
Erzgebirgcs, so empfängt man häufig den Eindruck der
Armutei und dcr Verkommenheit, auch bei umfänglichen
Gebäuden und Gchöftcu, wenn man sieht, wie der Stall-
dunst die Mauern durchfeuchtet und durchseucht, daß sie
aussehen, wic mit Jauchc getränkt; wie diese Schandflecke
sich bis zu den Wohn- und Schlafräumen unter demselben
Dache verbreiten, daß man nur mit Grauen daran denken
könute, selbst hier hausen zu müssen, und wie der Kalkputz in
großcn Schildcrn herabfällt, den Eindruck der Verwähr-
losung voll zu machcn. Selbst ein niederländisches Maler-
augc würdc einer solchcn Dorfszenerie nichts Anziehendes
abgewinnen, denn unsercn modernen Bauernhäusern fehlt
dic grüne Stasfage der Spaliere und Schutzbäume, die
Farbenharmonie, vic sich ans bemvostem Strohdach, sonncn-
gebräuntem Holzwcrk und grauem Steingemäuer ergiebt —
ja, es fehlt ihncn sogar der Wechsel von Licht und Schatten,
weil sie keine ausladcnden Schirni- und Sparrendächer,
keinc Galcrien oder Freitreppeu, nicht einmal mehr Dach-
vorsprüngc an den häßlich abgehackten Giebeln erhaltcn.
Farblos, glatt, symmetrisch und ledern: das ist die Signatur
unsercr sächsischen Dorfhäuser, soweit sie neuercn Ursprungs
sind. Sclbst nnsercn zutraulichen Hausgenossen: den
Schwalben, die sonst an keinem Bauernhause fehlten, sind
die Neubauten auf dem Dorfc zu ungemütlich gewordcn.
Und betritt man dann das Jnnere eines solchen Hauses,
so erstaunt man übcr den Mangel jedweder charakteristischen
Anordnung: wo man ein geräumiges Vorhaus tdie nieder-
sächsische „Diele") erwartet, geeignet zu allerlei'häuslichen
Vorrichtungen, findct man denselben unglückseligen kegel-
schubartigen Gang mit vielen Zimmerthüren, der unsere
städtischen Miethäuser so kasernenmäßig macht; wo man
eine breitc, luftigc Treppcnanlage sucht, findet man eine
kümmerliche Stiege zwischen beengenden Steinmaucrn, mit
halsgefährlichen, schmaleu und spitz auslaufenden Stufen;
die alten, herrlich kühlen „Gewölbe", in denen Speisen
und Getränke sich besser als in cincm Eisschranke erhiclten,
werden durch die jämmerlichcn „Speisckammcrn" crsetzt,
die ohnc jcdc Rücksicht auf die Himmelsrichtung dem
„schönen" Grundriß zulicbe an der warmen Küchenwand
angelegt, der „Symmetrie" zuliebe mit großen Fenstern
versehen, der „einhcitlichen Konstruktion" zuliebe mit Balkcn-
decke geschlossen werden. Moderne Wirtshäuser auf dcm
Landc zeigen zumeist dic unglückselige Vcrquickung städtischer
Restaurativncn und Tanzlokale niit den unkomfortabelsten
Fremdenstuben und schauderhaftcn Aborteu: dic unverstandenc
Kultur neben krasscr Urwüchsigkeit.
Wohcr rührt dieser bedaucrlichc Mangcl au Originalität,
Reiz und Stil, diescs Nachäffcn städtischer Anordnungen
und Fassadcn? — Wir glauben drei Ilrsachcn zu erkenneu.
— Als crste derselben sind dic für das plattc Land
geltenden Baup o lizeiv orschri ften zu bezeichneu. Die
Baupolizeiordnung für Dörfer, dic durch das Gesetz vom
6. Juli t8S3 eingeführt wurdc, gilt für alle Orte des
Königreiches gleichniäßig, einerlei ob sie in der tischflachen
Ebene LcipzigS vder in den Schluchten und auf dcn Höhen
des obcrcn Erzgebirges gelegcn siud. Ausnähmcn macheu
nur die Dörfer, welche dcn städtischcn Bauvorschriften
unterstellt sind oder für die eine Lokalbauordnung errichtet
worden ist. Beides bedeutet abcr in der Hauptsache nichts
anderes als weitgehende Zugeständnisse an dic.Ausnutzungs-
fähigkcit eines Neubaues, und doch geht diesc vhnehin schon
weit genug. Wird doch die geschlossene Bauweise für
Dörfer als sclbstverständlich angenommen (8 30 der Bau-
ordnung für Dörfer), — ja, es werden sogar (nach Z t 3)
Souterrainwohnungen und (nach H -tt) Dachwohnungen
in den Dörfern fast ohne Einschränkung zugelassen! Die
Folgeu dicscr Weitherzigkeit, der auf dem Lande das
regulirende Gegengewicht dcr Gesundheits- und Wohlfahrts-
polizei mcist gänzlich fehlt, kann man in den schlimmstcn
Übelständen wahrnehmen. Andercrseits stellt aber jdiese
selbe Baupolizeiordnung hinsichtlich der Abstände, Konstruktion
u. s. w. an die Gebäude Anforderungen, die sich jbei
wirklich ländlichen Berhältnisscn kaum rcchtfertigen lassen
und das gänzliche Erlöschcn des ländlichcn Baucharakters
nur zu sehr erklären. Wir führcn hier nur die wichtigsten
Bestimmungen an. WeichesDachbedeckungsmaterial
(Stroh, Rohr, Lehm- und Holzschindeln, sowie Holz-
bedeckungen aller Art u. dergl.) ist nur bei einzeln stehcnden,
von fremden mindestcns t?o m entfernten Gcbänden
gestattet (ß 3S). Gebäudc mit nicht niassiven II m-
fassungen müssen von nächsten fremden Gebäuden
mindestens 11,4 m entfernt bleiben; ist abcr das letztere
cinc Scheune oder hat es weiche Bedachung, so muß die
Entfernung 22,5 rn betragen! (Z 23.) Sollen Holz-
k o n strukti o n e n (Balken, Ilnterzügc, Trempcl- oder
Bundwände, sowic Ortgebinde und Sparrcn) mit den
Ilmfassungen in Verbindung treten, so müssen sie (nach
Z 22) an jeder Stelle des Gebäudcs nach außen hin
mindestens Vs Stein stark mit Ziegelmaiierwerk verkleidet
werden, dafern diese Ilmfassiingen uicht die crwähnten
Entfernungen (tt,l bezw. 22,5 m) crhalten! Hölzerne
Freitreppen unterliegen dcnselben crschwerendcn Be-
schränkungen (Z 35); zwischcn Wohnhaus und Scheune
sind, wenn nicht ein freier Abstand von mindesteiis 3,1 o m
vorhanden ist, Brandmauern aufzuführcn (Z zo). Die
in unseren sächsischen Dörfern nachgerade typisch werdende
häßliche Form von Seitengebänden (mit cinseitigem