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DalbmonAtllcbe Nundscbau.

MNcr klbiNvtrkuiig des ÄlSegrüuders Ferdinund Nvennrius berausgegeben von

2. Zfebruar-Dett 1694.

Vaul LcbuN1 ann. M

Merter Zabrgang.

Lrscheint Anfang und
Mitte jeden Monats.

Westellgeld: 1 lD. 6O Dk. vierteljährl.

Anzeigen:

HO Pf. f. d. ^gesx. Petitzeile

Nundsckau.

» Wlumenstndlen. wenn auch Leld und
Garten uoch das graue wiuderkleid tragen uud die
Bäume unseres Stadtwaldes ihr schwarzes Geäst in
den winterhimmel strecken: die Zeit steht unter dem
Zeichen der Blume! Zn der benachbarten Besidenz
wurden dem jungen Landesherrn die ^uldigungen zur
verlobung in einem Blumenreigen dargebracht. Die
Frankfurter Aünstlerschaft hatte als Losungswort für
ihr winterfest „Die Blume" ausgegeben, und der
Festsaal unseres palmengartens war in einen Blüten-
palast uingewandelt worden. ^undert fleißige Damen-
hände waren seit wochen in emsiger Thätigkeit ge°
wesen, um aus Seide und Flor, Steifgaze und Draht
Wunderwerke zu schaffen, die diesen palast mit
wandelnden Blumen beleben sollten:

Im festlich strahlenden Lichterglanz
Als bunter Blütemnummenschanz,

Als wärcn in dieser Festesnacht
Alle Blütengeister zur Lust crwacht.

So hatten wir es erlebt, daß Granvilles „llsurs
auiiuees" und die Gestalten aus walter Lranes

„b'lora's ksast" sich in jener Festnacht ein reizendes
Stelldichein gaben.

wie drängte sich unsere Damenwelt im Runst-
gewerbehaus vor den xhantasiereichen, immer graziösen
Blättern des englischen Rünstlers. welche Natur-
beobachtung aber auch in den einzelnen Blumentyxen
dieses Festzugs der Flora! wie intim muß der Aünstler
mit jeder einzelnen Blume geworden sein, um sie

gerade in der INenschenbildung, in dem Rleid und
der Bewegung zu verwenden, in denen uns ihr

innerstes wesen am überzeugendsten entgegentritt.
Da genügt weder die Lupe und das Messer des

Manzen-Physiologen, noch der gewissenhafte Stift dss
Zeichners, der ein Pflanzen-Zndividuum als Modell
vor sich hinstellt: hier muß der Nialer mit dem
Dichter Ljand in Ljand hinausgehen und die Rinder
des Feldes und Gartens in ihrer freien Lntwickelung,
in ihrem glücklichen Leben im Sonnenschein belauschen.
Dann wird er Gestalten erfinden können, wie dieses

Bchwesternpaar von Lilien in ihrer stolzen Zungfräu-
lichkeit, das Lhrysanthemum im Glanz eines gold-
strahlenden Fürstenmantels, die Maiglöckchen, die sich
bescheiden in ihre Blätter verhüllen, oder die getigerte
Feuerlilie in ihrer exotischen Pracht. Auch der b^umor
wird doppelt wirken, weil er schlagend zu charakterisiren
versteht: Die päonie steifer Grandezza, die Bonnen-
blume, die vor ihrer eigenen bjerrlichkeit zu erstarren
scheint, oder jenes köstliche st)aar in Scharlach ge-
kleideter Gardisten, mit den Blättern der Mohnblume
behelmt, von denen der Line auf dem rasselnden
Mohnkopf Trommelwirbel schlägt.

Ls ist anzunehmen, daß in Lngland ein tief-
gewurzelter und in allen volksschichten verbreiteter
Binn für die Natur, eine Dorliebe für Garten- und
Blumenxflege gerade derartigen Schöpfungen ein großes
publikum sichert. Zeigen doch auch die Wand-Deko-
rationen, die großgemusterten Taxeten Lranes und
seiner Freunde das gleiche frische ksineingreifen
die vegetation des Feldes und bvaldes, an einer
Btelle, wo wir Rontinentalen uns noch mit dem
Nachahmen gewirkter Btoffe, also mit einer Natur-
wiedergabe aus zweiter chand begnügen. Lngland
besitzt in dieser Blumenfreude eine verwandtschaft mit
Iaxan. Auch in diesem fernen Znselreich schafft sich
Zeder sein Gärtchen, eine blumengeschmückte land-
schaftliche Bzenerie auf dem winzigsten Raume, die,
mit leidenschaftlicher Sorgfalt gepflegt, zu allen Zahres-
zeiten mit den entsxrechenden Blütenxflanzen ausge-
stattet, auch dem Bewohner des bescheidensten Land-
hauses einen fortwährenden verkehr mit der Natur
vermittelt. Aus dieser verwandtschaft der Neigungen
erklärt sich auch der starke Linfluß, den die jaxanische
Runstweise, soweit die j)flanzen-Grnamentik in Betracht
kommt, auf den englischen Geschmack ausüben konnte:
ein Linfluß, dem durch die kolonialen und bjandels-
beziehungen ohnedies alle IVege geebnet waren.

Zn der That ist Lngland den übrigen euroxäischen
Ländern vorangegangen in dem Bestreben, ein Zier
werk zu schaffen, das nicht auf den abgeblaßten

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