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Dalbmonatlicbe Ikundscbau.

ciiiter Mttwirkung des Legründers Ferdtnand Nvenarius deransgegeden vcm

aul Scdumunn.

t. ZnnuAr-Dett 1894.

IDierter Aabrgsng.

Lrscheint Ansang und
Mitte jeden Monats.

Anzeigen:
j)f. f. d. H gesp. Petitzeile

Nundscbau.

» Die kunstgewerblicbe /Ibode, schreibt die
Doss. Z., schwankt zur Zeit zwischen Rokoko, Zopf, Lmpire
und englischem Geschmack. Renaissanee und Barock
gelten bei den Ulodernen eigentlich schon als veraltet,
als überwundener Btandpunkt, als abgegrenzte Ge-
biete, die nicht mehr erfreuen können. Selbst mit dem
Rokoko sleben die Vordersten der Modernen schon auf
etwas gespanntem Fuße, da sie seine Reize bereits
einige Zahre gekostet haben. Aber die Rkehrheit hat
am Rokoko doch noch ihre Freude. Man lächelt über
die vernichtende Rritik, welche einst Diderot im Salon
t7S5 gegen Boucher richtete. Tiefer als bei ihm,
meint Diderot, kann der Geschmack, die Romposition,
der Ausdruck, die Zeichnung nicht sinken. Lr holt
seine Zdeale aus dem Sumpfe der Gesellschaft; von
Naturwahrheit ist er weit entfernt, von Grazie, Zart-
heit, Linfachheit, Unschuld — keine Spur! Zn Diderot
spricht sich schroff die Reaktion gegen den Rokoko-
Aarneval aus. Und heute finden wir diesen Rarneval
gar nicht so schlimm. Bouchers Blumen- und Amoretten-
ornamentik wird sogar kopirt. U)atteau, j)ater und
Lancret werden gepriesen. Die Tabourets, chessel und
Tischchen aus der Zeit der Regentschaft und Louis XV.
^werden mit Lifer nachgeahmt. Die Boule-Arbeit
findet enthusiastische Bewunderer. Die j)orzellan-
manufakturen zu Uleißen und Berliu ahmen die alten
Rokoko-Arbeiten mit ihren schäkernden chchäfern und
Schäferinnen, Göttern und Göttinnen und der gesamten
übrigen leichtfertigen, aber immer graziösen Gesell-
schaft, die in plastik und Farbe zum „Decors" ver-
wendet wurde, bestens nach. Und die Rleister des
Stucks befleißigen sich, das geflammte und gemuschelte
Grnament, die verschnörkelten Rartuschen und das
lustig über die Fläche kriechende Grnament in alter
Art wiederzugeben und mit zarten Farben und Gold
abzutönen. Gerade zur weihnachtszeit fällt angesichtr
der Fülle der ausgestellten Lrzeugnisse diese Ljinneigung
zum Rokoko auf — sie giebt sich nicht allein in
der Zimmerausstattung, in den Rlöbeln, in den Rletall-
arbeiten, in der Stoffmusterung, sondern anch auf

vielen anderen Gebieten der Runstindustrie zu erkennen.
von Alleinherrschaft des Rokoko ist allerdings keiue
Rede aber immer doch von einer breiten Ausdehnung.
Mas nicht aus dem Lserzen kommt, nicht aus dem
eigenen Fühlen und Denken lebendig quillt, berührt
gewöhnlich frostig. Und so läßt sich auch gegenüber
den modernen Leistungen im Geschmack der ersten
ksälfte des vergangenen Dahrhunderts so kein rechtes
warmes Gefühl der Bwunderung fassen. Bei den
Zimmerausstattungen hat man zu sehr die Gmpfindung,
daß es sich um Ateliergeschmack und um Spielerei
handelt, daß sie überhauxt dem Mesen des modernen
Rlenschen nicht entsxrechen und für eine Gesellschaft
berechnet sind, welcher das Boudoir als der Lsiminel
auf Lrden gilt. Die Leichtigkeit, Zierlichkeit und
Grazie der Matteau-Ieit lassen sich nicht durch Studium
und Nachahmung gewinnen — sie schwinden, wenn
sie mit bewußter Absicht erstrebl werden. Das Lmpire
mit seinen antikisirenden Formen und seinem gräßeren
Grnst liegt uns schon näher. Gegeuüber dem Rokoko,
das so leicht zur Überladung verführt, zeichnet es sich
durch strenge Linfachheit aus. Aber nur auf das
Lmxire oder auf den von Zaxanismen durchsetzten
englischen Geschmack zn schwören, ist ebenso verfehlt,
als das Rokoko als alleinseligmachenden Stil anzu-
erkennen. Das Beste ist, sich möglichst auf eigene
Beine zu stellen und sich weder von dem modernen
Geschmack der Lngländer, noch von vergangenen Stil-
exochen derart ins Schlexptau nehmen zu lassen, daß
darüber die eigene Lrfindungskraft verloren geht.
Gewiß, ohne Tradition ist jedes menschliche Schaffen
unmöglich, aber die Tradition darf das neue frische
Leben nicht ersticken. Zetzt, wo das Runstgewerbe
eine Fülle von Gegenständen auf den weihnachtsmarkt
wirft, läßt sich wieder erkennen, daß nicht der orna-
mentale Schwulst, der dieser oder jener Stilepoche ent-
nommen wurde, sondern die praktische Brauchbarkeit
der Gegenstände die Lsauxtsache ist, und daß unter
genauer Berücksichtigung dieser Forderung auch ein
neues, frisches Llement in die Gestaltungen der
 
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