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^nlbmouatliche Anndschan.

Nntcr Mitwirknng drs Lcgründers Fcrdinand i!lvcnarius berausgeqcbcn von

S ch ri in a ir ii»

N April-Ideft sZc)4- vierter Iahrgang.

Lrschciut llnfciiig uud
INittc jcdcu INouats.

Bestellgel-:

l M. t»U vrerteljährl.

Auzcigeu:

!chu Nb b T sdctiNcilc.

S t i l f r a g e n.

„2llles fließt", sagt ein altcr griechischer phi-
losoph. tVer wollte ihni nicht Necht gebeu iin
Zeitalter der Lntwickelnng, da die Darwinschen Au-
schauungen inehr und inehr alle Gebiete der Lorschnng
durchdringcn? Zin besonderen ist auch die bVissen-
schaft in ewigein Flusse begrisfcn. Zugendliche lVissen-
schaften gleichen tobenden Bcrgslüssen, ältere lVissen-
schafteu behaglich dahin gleitcnden 5tröinen dcr Lbene.
illbcr anch der rnbig dahin gleitende Fluß kanu, dnrch
einen plötzlichen Linbruch gestört, in anderc Babnen
gelcnkt werden. lVer hätte jc daran gezweiselt, das;
Gottsricd Scmpers grundlegeude Aufstellungen über
deu Atil Giltigkeit für alle Zeiten hätten? Alois
Biegl, Gustos ain kgl. Ruustgewerbc-Aluseuiu zn IVicn,
hat es unternoininen, die Forschung über dic Vrna-
mentik in ncue Bahnen zu lciten, die zuin Geil von
dcnen Seinpers, inehr noch seiuer Nachfolgcr, stark
abweichen. Gr thut es in dein Buche ,,B t i l f r a g e n,
Grundlegungen zu einer Geschichtc der Mrnainentik^
(Berlin 189>ö. Georg Sicmens, 3^6 2.). Das Buch
soll willkoinincn sein! Ls ist gut, wenn die soge-
nannten fcststehenden IVahrheiten von Zcit zu Zeit
eiumal aus ihre Berechtigung nachgeprüst wcrden.
Die IVissenschaft konunt durch deu lViderspruch uur
vorwärts.

Die Lrage, ob anch die blos; ornameutaleu Formeu
iu der Auust sich stufeuweise cutwickelt habeu uud vou
Volk zu Volk überliesert worden sind, wurdc bisher
meist schlechthiu abgewiesen, näher nntersucht kauiu.
Naiuentlich der geoinetrische Btil sollte uach den bis-
herigen Auschauungen überall, bci dcn vcrschiedensteu
Völkeru selbständig ersundcn und cntstanden sein und
zwar iiu Anschluj; au die „Techuik". Die Auschauuug,
daß der Nrspruug alles Runstschaffeus uur in dcin
jeweiligen tvtoff und der Technik zu suchen sei, wird
auf Seniper zurückgeführt. Biegl iiieiut, dies gcschehc
uiit llurecht. „lVeun Beinper sagte: beiin lVcrdeu
eiuer Runstsorni käiue auch 5toff uud Technik in
Bctracht, so ineinten die Seniperianer sofort schlecht-
iveq: die Auustforni wärc ein j?rodukt aus ^toff und

^'_

Technik." Ls läßt sich allerdings nicht lcugncn, das;
diese einseitige Auschauung eines wesentlich inechanisch-
niateriellen Nachahinungstriebes in der llnnstforschnng
in den letzten Zahrzehnten eine recht brutale lferrschast
geführt hat. Daß wieder eiunial eiu Lorscher an das
frei schöpferische llunstwolleu eriuuert uud ihin scine
L-tellung zu erobern sucht, ist daruni von vorn berein
freudig zu begrüßcn und ist es uin so freudiger, wcnu
dadurch etwa ein grobcs lllißverständnis der Bcm-
perschen Lehre aus deiu lVeg geräunit wird. Niegl
beansprucht uicht, alle sich hierbei aufdräugeuden
Lragen eudgültig gelöst zu habeu. Tr will nur Grund-
legungen geben und jedenfalls werden seine Aus-
einaudersetzuugeii dazu führcn, daß eininal eine voll-
endete Geschichtc der Mrnainentik, hoffcntlich vou
Niegl selbst geschrieben werden kann.

Niegl widinet sein erstcs llapitel der Lrage, ob
wirklich die llünste aus deni Znsaniinenwirken von
Atoff und Technik entstanden seien und sein könncn
und bebandelt insbesondere den geoinetrischen pllil.
Ts hofft darin „dargelegt zu habeu, das; nicht blos;
kein zwingender Anlaß vorliegt, der uns nötigen
würde, u priori die ältesten geoiuetrischen Verzierungen
in einer bestiniiiiten Technik, iusbesondcre der tertileu
llüuste, ausgeführt zu veriuuten, sondern das; die
ältesten wirklich historischen lluiistdenkinälcr den bezüg-
lichen Aunahinen viel eher widersprechen."

Der geoinetrische Btil, der gerade und kruinine
Linien benntzt uud desseu oberste Gesetze L-viniuetrie
uud Nhythiuus siud, ist deu Völkern in der Negel auf
ciuer verhältuißniäßig niedrigeu llulturstufe eigeu ge-
weseu. Alau hat ihn z. B. in den ältesten Begräbnis-
stätten auf Typern, in lfissarlik-Troja, in den Terra-
inaren dcr poebenc, in den vorgeschichtlichen Gräbern
Nord- und lllittcleuropas, iu peru u. a. M. gefunden,
und cbenso beherrscht er üie Vrnaiuentik heutiger
Naturvölker in llsien, llfrika, llinerika uud j?olpuesieu.

Ilebcrall ffndet nian bci diesen vorgcschichtlichen
und bci diesen Naturvölkern die wenigen grundlegen-
den lNotive dcs geoiuetrischen Lüils in der gleichen

— IVY —
 
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