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DalbmonAtltcke Nundsckau.

Mntcr /ISttwirknng des Megründers Zferdinand Nvennrius beransgegeben von

paul Lcdumunn.

l. /Ikürz-Dett 1S94. Merter Aakrgang.

Lrscheinl Anfang und
Mitte jeden Monats.

Westellgeld: 1 lD. 60 Dt. vlerteljäbrl.

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HO Pf. f. d. ^gesp. Petitzeile

IKundsckklu.

» Das Ikrunstgewerbe und die Illrsucben
seiner torNvübrenden Ltilveründerung. über

einen Vortrag, den der Architekt und Ronservator
Gtto tsäberle gehalten, berichtet das Hannoversche
Gewerbeblatt wie folgt:

Die Geschichte des Aunstgewerbes liefert uns den
Beweis, daß, je mehr die Trennung zwischen hoher
oder freier Aunst und der dekorativen Aunst oder dem !
Lunstgewerbe sich vollzog, ein Niedergang des Aunst-
gewerbes in demselben verhältnis die unausbleibliche
Folge war.

Nachdem die zwischen hoher und dekorativer Runst
aufgebaute Scheidewand im Laufe der drei letzten
Iahrhunderte zu immer mächtigerer Lsöhe aufgebaut
war, verschanzte sich die hohe Runst stolz hinter ihr
und schloß jede Gemeinschaft mit dem Runsthandwerk
aus, wie denn auch unsere ersten Rünstler, obschon
sie meist nicht fähig sind, eine dekorative Aufgabe
in erfreulich geschmackvoller weise zu lösen, sich
immer noch vornehm beiseite drücken, wenn es sich
nur um dekoratioe Runst handelt.*

<Lrst in den letzten Iahren ist da und dort eine
leise Unterströmung bemerkbar, welche die mächtigen
Fundamente dieser Scheidewand zu unterwühlen ver-
sucht, und wir wünschen und hoffen, daß es dieser
Strömung im Laufe der Zeit gelingen wird, diese
unglückliche Scheidewand zum Linsturze zu bringen.
Zst diese gefallen und ist damit wie zur Zeit der
höchsten Blüte des deutschen Runstgewerbes alle und
jede Runst ornamental und dekorativ geworden, so
wird sich auch die einzelne Runstleistung nicht mehr
brutal und selbstherrlich hervordrängen, sondern nur

* Allein ihre Schuld ist das nicht. In Wahrheit ist
das vorurteil der „hohen Rünstler" gegen ihre thalbbrüder
vom Gewerbe entschieden in der Abnahme begriffen, unö es
bedürfte nur einer häusigeren Anrcgung seitcns der großen
Aunstindustriellen, um die Maler, Bildhauer und Architekten
mehr noch als bisher sür die Aunstindustrie zu interessiren.
Aber an solchem Anregen fehlt's cben auch. Sch. d. Kg.

ein dekoratives Daseiu führen, sei es als hochster
Abschluß oder als untergeordneter Teil oder schließlich
als umschließender Rahmen; d. h. es wären für das
deutsche Runstgewerbe jene Zeiten der Blüte wieder-
gekommen, die wir noch in ihren Resten bewundern.

Aber nicht allein diese Scheidewand gilt es nieder-
zureißen. Angefichts gewisser in ihrem ästhetischen
nnd materiellen Grunde sicherlich ganz gut gemeinter,
teilweise sogar recht geistreicher versuche, die moderue
N)elt in die Formen der Antike, der Gotik, italienischer
oder deutscher Renaissance u. s. f. zu kleiden, und die
Befruchtung unserer modernen Bestrebungen vor-
wiegend von dem engsten Anschluß an eine dieser
Runstrichtungen zu erwarten, muß immer wieder an
den 5atz erinnsrt werden, den Bemxer gelegentlich
seiner Untersuchungen über den protestantischen Rirchen-
bau ausgesprochen hat. „Soll unsere Runst den
wahren Ausdruck unserer Zeit tragen, so muß sie
den notwendigen Zusammenhang der Gegenwart mit
allen Zahrhunderten der vergangenheit, von denen
keines, auch nicht das entartete, vorübergegangen
ist, ohne einen unvertilgbaren Lindruck auf unsere
Zustände zu hinterlassen, zu ahnen geben und mit
Selbstbewußtsein und Unbefangenheit sich ihres reichen
Stoffes bemächtigen."

Dieser von Lemper vor mehreren Zahrzehnt^n
ausgesprochene Satz hat sich in der Folgezeit auch
als vollständig zutreffend erwiesen, denn jeder versuch,
das kseil unseres modernen Runstgewerbes, den sehn-
lichst herbeigewünschten Stil der Gegenwart von dieser
oder jener Runstrichtung vergangener Zeiten zu er-
warten, schlug fehl. Ststs folgte dem großen Ansatz
ein Lrmüden, der strengen Stilreinheit ein absichtliches
Lntweichen zu freierer Gestaltung.

wir erkennen daraus, daß wir erst unsere uns
von der Geschichte zugeteilte Aufgabe zu verarbeiten
haben, ehe wir daran denken dürsen, an die Rette
unserer Rulturentwickelung vollständig neue Glieder
anzufügen. Denn diese Rette, die nur mit knapper
Not und nicht ohne schwerste Schädigung die Stürme

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