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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Plehn, Anna L.: Aus Berlin: Ausstellungssaal Balcke - Atelier Patriz Huber - Steglitzer Werkstatt
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0010

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KOPFLEISTE VON

H. RADZIG-RADZYK

AUSSTELLUNGSSAAL BALCKE — ATELIER PATRIZ HUBER

STEGLITZER WERKSTATT

NOCH in den Ungezogenheiten dessen, was
»Jugendstil« genannt wird, haben uns die
Ornamentüberwucherungen eines mißbrauch-
ten Rokoko wie ängstliche Träume heimgesucht.
Vielleicht seine bedenklichsten, hoffentlich seine letzten
Ausläufer. Augenblicklich aber hat gerade in Berlin
die neuzeitliche Einfachheit noch einen schweren
Stand. Sie war bis vor kurzem erfolgreich nur durch
vereinzelte Werke hier vertreten, die hauptsächlich
von auswärts kamen. Van de Veldes Wirken in der
Reichshauptstadt war von kurzer Dauer. Nur ganz
wenig ist von echter, englischer Tischlerei hier ge-
sehen worden, und was in Deutschland Gutes gemacht
wurde, kam auch nur selten zu uns.

Dafür fängt nun aber ein gesundes Prinzip der
Schlichtheit an, in Berlin selbst energischer zu wirken.
Hier und da in der Außenarchitektur und in gewissen
Innenräumen spürt man einen neuen Geist. Was
zunächst nur in den Fassaden einzelner Kaufhäuser
anklang, ging dann auf die Straßenseiten gewisser
Mietskasernen über, zeigt sich in der Anordnung der
Erker und in dem Hervorwachsen der Balkons aus
dem Baukörper. Man trifft auf diese ganz schlichten
Mauern, die nur durch die symmetrische Verteilung
vorspringender Ausbauten gegliedert, durch die maß-
volle Unterscheidung der Behandlung von Erdgeschoß
und oberstem Stock gegen die mittleren Etagen aus-
gezeichnet werden und die in der Unruhe des Straßen-
bildes das Wohltuende simpler Zweckmäßigkeit
zeigen. Das braucht durchaus nicht öde oder ein-
förmig zu sein. Hin und wieder gibt es eine kleine
Neuerung, die desto erfreulicher wirkt, je weniger
Wesens davon gemacht wird. Es mehren sich die
Versuche ohne Balkonstützen auszukommen, da diese
doch tatsächlich nichts sind als vererbtes Herkommen.
Denn kein moderner Balkon wird in Wirklichkeit von
den Konsolen getragen, die man ihm der Gewohnheit
zuliebe unterschiebt. Der im Balkonboden verborgene
Eisenträger ist es, der den Ausbau in der Mauer
festhält. Freilich hat es für unsere Augen sein Be-
denkliches, die Grundfläche ohne sichtbare Unter-
stützung in ihrer ganzen Ausdehnung in die Luft

Kunstgewerbeblatt. N. F. XV. H. 1.

ragen zu lassen. An einem Neubau vom Herbst 1902
in einer der westlichsten Neustraßen von Berlin sah
ich zum erstenmal die vordere Kante breiter Balkons
so weit abgerundet, daß dadurch die Fußbodenfläche
wesentlich verkürzt erschien. Das Auge glaubt so,
das Gebilde sicherer schweben zu sehen. Die Ver-
mittelung zwischen Hauskörper und vorspringendem
Bauteil durch einen Scheinträger wird dadurch über-
flüssig.

Für die Ausgestaltung von Innenräumen, in denen
nach modernem Prinzip die architektonische Linie
nicht unter Ornament verschwinden soll, gab Gre-
nander in der Jubiläumsausstellung des Kunstgewerbe-
vereins manche Anregung. Aber auf die Raum-
gestaltung selbst konnte er wenig Einfluß üben, da
er die Gemächer des alten Akademiegebäudes fertig
übernahm. Jetzt hat Alfred J. Balcke mit mehr Be-
wegungsfreiheit einen neuen Repräsentationssaal im
Kunstausstellungspalast am Lehrter Bahnhof zu einem
imponierenden Gebilde gestaltet. Freilich war auch
ihm nicht gegeben, von bestehenden Verhältnissen
unbeschränkt seinen Willen durchzuführen. Auch
war ein Umbau und es mußten Zugeständnisse ge-
macht werden. Aus drei nebeneinander liegenden Sälen
von quadratischer Grundfläche wurde durch Fortnahme
der trennenden Wände ein mächtiger Saal geschaffen,
der sich der früheren eintönigen Längsreihung völlig
gleicher Raumabschnitte (ich spreche von den Mittel-
sälen, die man sich gewöhnt hatte in einem Zuge
geradeaus zu durchschreiten) wirkungsvoll entgegen-
schiebt. Der Eindruck einer planvollen Raumdispo-
sition wird durch die Neuerung verstärkt, wenn nicht
erst hervorgerufen. Der Saal wurde nicht an den
Anfang des Gebäudes gelegt. Man durchschreitet
vom Portal her zunächst die alte Eingangshalle und
den ersten quadratischen Saal und die Tendenz der
Längenerstreckung wird bereits fühlbar. Nun betritt
man Balckes Raum und wird überrascht davon, daß
man zwar die nächste Wand nicht allzu weit gegen-
über, dafür aber zu den Seiten freie Bahn für den
Blick findet. Dies mächtige Ausdehnen nach der
Breite ist ein erwünschter Gegensatz gegen die vor-
 
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