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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Plehn, Anna L.: Neue Gruppe Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0031

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22

NEUE GRUPPE BERLIN

ECKPFEILER IM REPRÄSENTATIONSSAAL (ABB.

S. 23), ENTWURF: E. SCHAUDT, MALEREI:

RICHARD BÖHLAND

Verschleuderung festen Besitzes bedeuten, wenn man
auf die Ausdruckskraft der überlieferten architektonischen
Formensprache für immer verzichten wollte. Aus
ihrer Anwendung haben zahlreiche Kunstepochen
immer wieder etwas anderes gestattet, sofern nur ein
kräftiges eigenes Gefühl in ihnen lebte. Dasselbe
muß auch den Modernen von neuem gelingen.
Der Hauptraum und Festsaal (Architekt Schaudt)

der Zimmerreihe, von der ich heute zu sprechen
habe, zeigt scheinbar den Grundgedanken eines ganz
primitiven Baues: Vier wuchtige Eckpfeiler durch
ebensoviele als Dachträger dienende Balken verbunden.
Durch diese Vorsprünge, die die Winkel verstecken
und welche die Umrißlinien von Fußbodenfläche und
Decke interessanter gestalten, wird gleichzeitig die
Gelegenheit gegeben, die senkrechte Richtung vier-
mal durch vier Linien zu betonen, welche an den
Kanten der Pfeiler in die Höhe laufen. Die Malerei
(Maler Böhland), welche in ihrer Weise diese Linien
mit gefälligem Spiel vervielfältigt, bildet im oberen
Drittel der Flächen die Form zu menschlichen Figuren
um. Diese sind aber in den Farben der Wand als Braun
und Gelb gehalten und wirken nicht anders denn als
Fortsetzung der Senkrechten. In ihrer rhythmischen
Wiederholung vertreten sie die Funktion von Karyatiden,
obgleich keine von ihnen auch nur mit dem Scheitel
die Last berührt, die sie zu tragen scheinen. Dieselbe
Haltung mußte auch der Maler des Brunnenbildes
(Richard Guhr) seinen Gestalten geben, da er sich
der Raumeinheit anpassen wollte. Alle Figuren sind
gerade aufgerichtet und streng symmetrisch gestellt.
Diese Starrheit wird nur gemildert durch das Bauschen
mancher Gewänder, für das ein dekoratives Gesetz
gilt und nicht das der Natürlichkeit, da die nach
entgegengesetzen Richtungen schwingenden Falten
nicht von einer einheitlichen, äußeren Ursache bewegt
werden könnten.

Durch diese Linienführung, zu der sich Architekt
und Maler vereinigten, wird der Eindruck der Raum-
höhe über die tatsächlichen Verhältnisse hinaus ge-
steigert. Er wird vervollständigt durch die niedrigen
Türen (Bildhauer Kohn). Ihren weißen Pfosten
wurde der Eindruck der Höhe genommen, indem
die abstechende Farbe des Wandfußstreifens als Sockel
darunter gesetzt wurde. Die also verkürzten Schäfte
wurden überdies noch durch mehrfache Horizontal-
teilungen unterbrochen. Den Türsturz beschwert
eine dreifache Schwingung von starken Spiralbändern,
die wie Federn die Wanddurchbrechung in der Tiefe
festzuhalten scheinen. Über ihnen behält die Mauer
Freiheit, weit in die Höhe zu streben.

Für die Farbenstimmung des Raumes ist die Reihe:
Gelb, Braun, Marineblau, Weiß gewählt. Die Wand
hält sich ganz im Gelb und Braun und steigert sich
in dem Brunnenbild durch etwas Gold nebst hellem
Erdbeerrot und ein wenig Kupfergrün. Das Weiß
beherrscht die Tür- und Bildumrahmungen und das
dunkle Blau der einfachen Bankpolster erscheint in
den kleineren Gemälden Guhrs an den Seitenwänden
wieder mit einem milden Grün gepaart.

Dieser Maler hat sich vor einigen Jahren in einer
Ausstellung bei Gurlitt zum erstenmal gezeigt. Da-
mals verriet sich deutlich, wie seiner Phantasie durch
Böcklin die Richtung auf eine tiefe Farbigkeit ge-
geben war. Zugleich aber überraschte ein merk-
würdig kräftiger Realismus. Da war eine fast eigen-
sinnig zu nennende Durchführung, welche die Einzel-
heiten beinahe unter die Lupe genommen zu haben
schien. Neben Märchendarstellungen sah man eine
 
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