Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

DOI Artikel:
Widmer, Karl: Zum Wesen der modernen Kunst: Streiflichter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0043

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34

ZUM WESEN DER MODERNEN KUNST

liches Fiasko prophezeiten, und die anderen, die in
voreiliger Überstürzung allen historischen Zusammen-
hang zerreißen, und das Heil in einem rücksichts-
losen Bruch mit der Vergangenheit verkünden wollten.
Das unreife Triumphgeschrei der Radikalen hat ebenso
viel dazu beigetragen, die Urteile zu verwirren und
die moderne Bewegung beim Publikum zu diskredi-
tieren, wie die engherzigen Vorurteile der Stockkonser-
vativen. Die Verehrung der Alten und ihrer Lehren
hat nicht aufgehört, nur die Auswahl unter ihnen
hat gewechselt und der Standpunkt der Abhängigkeit.
Der Standpunkt der Abhängigkeit. Denn das bleibt
trotz alledem Tatsache, daß dem Begriff des Modernen
auch eine bewußte Tendenz gegen das Historische
zu Grunde liegt: soweit das Historische nämlich aus
einer Anregung zu einer Fessel des freien künstlerischen
Schaffens geworden war. In der sogenannten Histo-
rienmalerei hatte die Kunst ein ihr fremdes, halb
gelehrtes Wesen angenommen. Der Maler fühlte sich
mehr als Historiker denn als Künstler. Statt in der
Natur forschte er in Museen, Archiven und Chroniken.
Die historische Echtheit eines abgemalten Reiterstiefels
war ihm wichtiger, als die in Formen und Farben
ausgedrückte Stimmung. Der Schauer des Histo-
rischen packt uns aber — trotz aller wissenschaft-
lichen Verstöße und der naivsten Anachronismen —
wenn er nur mit künstlerischen Mitteln erzeugt wird
und wird nicht erreicht mit allen Tatsachen einer

urkundlich beglaubigten Richtigkeit. Und erst in
der Architektur und im Kunstgewerbe. Wie hatte
da die historische Schule in ihrer Sünden Maienblüte
das historische Wissen zu einem Bleigewicht für die
künstlerische Phantasie gemacht, als die Parole »stil-
echt« das freie Schaffen geradezu verboten und das
Kopieren zum Gesetz gemacht hatte. Dagegen lehnte
sich die moderne Bewegung auf und in diesem Sinne
mag sie immerhin für eine Reaktion gegen das Histo-
rische gelten. Sie hat dem Künstler das Recht seiner
künstlerischen Selbständigkeit wiedergebracht. Auch
der ehrwürdigsten Überlieferung gegenüber besteht
er auf seinem künstlerischen Freiheitsbriefe, der ihm
erlaubt, mit dem Alten in seinem Sinne zu schalten,
die überkommenen Formen im Geiste seiner Zeit und
seiner Persönlichkeit umzuwerten. Sie hat die Kunst
wieder zur Kunst gemacht. Dieses Verdienst allein
schon wäre groß genug, ihr den dauernden Ruhm
ihrer Mission zu sichern, würde sonst auch alles
fallen. Wir können bei dem ewigen Wandel der
künstlerischen Meinungen heute nicht ahnen, wie die
Zukunft über die Leistungen unserer Tage richten
wird — genug, daß der Künstler wieder ehrlich
und mutig sich selbst und der Stimme seiner eigenen
Zeit zu gehorchen wagte, und

»— wer den Besten seiner Zeit genug
Getan, der hat gelebt für alle Zeiten«.

TEPPICH ZUM

SPEISEZIMMER

(ABB. S. 31)

ENTWURF:

MALER

RICHARD OUHR

AUSFÜHRUNO:

RUDOLF HERZOO
 
Annotationen