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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Museen und Volksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0053

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MUSEEN UND VOLKSBILDUNG

ERNST RIEGEL, MÜNCHEN,
POKAL AUS VERGOLDETEM SILBER

»keinen Sammlungsgegenstand auszustellen, der nicht
einen besonderen erziehlichen Wert habe, und der
nicht einen großen Teil der Museumsbesucher fesseln
und belehren könne«. Darin liegt die Kluft, welche
den weitaus größeren Teil der europäischen Museen
von jenen der neuen Welt trennt. Drüben hat man
zeitig den großen erzieherischen Wert der Museen,
wenn sie in richtiger Weise angelegt und nutzbar
gemacht werden, erkannt. Es ist dadurch heute schon
Europa gegenüber ein kolossaler Vorsprung erreicht.
In der alten Welt dagegen wurden und — leider —
werden die meisten Museen noch heutigen Tages als

Magazinierräume angesehen, die in erster Linie für
ein kleines Trüpplein von Studierenden und Fach-
gelehrten da sind, ihnen Vergleichungs- und Er-
forschungsstoff auf bestimmtem, mehr oder weniger
eng umgrenztem Gebiete zu liefern. Ist nun damit
der Zweck der Objekte selbst und der Zweck ihrer
Konservierung erreicht? Nein! Ihre in den meisten
Fällen nicht gerade billige Bergung und Bewachung
dient keinen großen Gesichtspunkten, sie stellt sich
nicht in den Dienst einer über Fachkreise hinaus-
reichenden Idee, welche als Endzweck die Hebung
breiter gesellschaftlicher Schichten verfolgt. Sie spricht
nicht in großen Zügen von Kunst, sondern sie lehrt
Kunstgeschichte, und das ist bekanntermaßen zweierlei.
Denn Kunst erfordert Empfindung, Kunstgeschichte
ist Wissen; das Wissen allein aber ist etwas
Totes. Kenntnis und Erkenntnis zusammenwirkend
können allein zu fruchtbaren Resultaten führen, im
übrigen aber braucht der Genuß an künstlerisch wie
an natürlich Schönem keine Erläuterung. Was schön
ist, wirkt auch ohne daß man weiß, woher es kommt,
wie alt es ist, und was für Namen berühmter oder
unberühmter Menschen damit in Zusammenhang ge-
bracht werden. Das ist für den Genuß der Sache
und für die große Zahl jener, die selbst Gewerbe-
treibende, Maler, Architekten oder Bildhauer, kurzum
mit künstlerischen Bestrebungen irgendwie verknüpft
sind und Anregung suchen, absolut nebensächlich.
Indes ist freilich unsere Kultur vorwiegend wissen-
schaftlich. »Sie verwischt Vorstellungsbilder immer
mehr zu Gunsten von Begriffen und Ideen.« Taine
sagt darüber: »Unter dem unablässigen Drucke der
Erziehung, der Unterhaltung, der Reflexion und der
Wissenschaft verändert, zersetzt und verflüchtigt sich
die ursprüngliche Anschauung um nackten Begriffen,
wohlgeordneten Worten, einer Art von algebraischen
Zeichen Platz zu machen. Der Geist gerät immer
mehr in den Strom des abstrakten Denkens und dieses
wird die vorherrschende geistige Tätigkeit.« Dagegen
hat eine immer mehr zunehmende Strömung Platz
gegriffen. Sie spricht das Verlangen aus, nicht bloß
zu wissen, sondern den Genuß am Kunstwerk wieder
groß zu ziehen.

Man wirft dagegen ein: Werden die breiten unteren
gesellschaftlichen Schichten denn irgendwie im heben-
den Sinne sich beeinflussen lassen, liegt überhaupt
die Möglichkeit vor, an ein Emporstreben jener Kreise
zu denken, die bis jetzt durch den Zwang der Arbeit
niedergedrückt, sich keine Mühe geben werden, etwas
anderes als die materielle Besserung ihrer Verhältnisse
anzustreben?

Darauf kann jeder eine treffende Antwort geben,
der mit offenen Augen die Zustände unserer »guten«
Gesellschaft betrachtet. Lichtwark sagte anläßlich des
Dresdener Kunsterziehungstages über dieses Thema,
nachdem er die Prüfung des gesellschaftlichen Lebens
in Deutschland einer schonungslosen aber richtigen
Untersuchung unterworfen hatte: »Kein Beobachter
kann das Streben nach neuer Bildung im deutschen
Volke verkennen. Es ist einer der Grundzüge der
Erhebung des vierten Standes, es bewegt die Frauen-
 
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