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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Zur Frage der Errichtung von Lehrwerkstätten: (Rede des Korreferenten H. E. v. Berlepsch-Valendas in Planegg-München beim Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0195

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ZUR FRAGE DER ERRICHTUNG VON LEHRWERKSTÄTTEN

GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNO 1904

DAMENMUSIKZIMMER VON ARCHITEKT

A. ALTHERR, BERLIN

der Gründung des Deutschen Reiches sozusagen ur-
plötzlich einstellten, vermochten auch einen Umschwung
auf künstlerischem Gebiete, vor allem auf dem der
dekorativen Künste, ins Leben zu rufen. Zurück,
zurück zu den Traditionen unserer Vorfahren! So
hieß die Parole.

Ja, wäre diese Möglichkeit nur so leicht geschaffen!

Traditionen, die zum größten Teile vollständig
verloren gegangen sind, ruft man an der Hand er-
rungener Macht allein nicht zurück ins Leben
dadurch, daß man ausschließlich die Formenwelt,
die anders geartete Geschlechter gebildet hatten, zum
Vorbild nimmt, ebensowenig aber durch Schulen,
wo derlei Reiser aufgepfropft und zu einem Schein-
dasein herangezogen werden. Nicht jene gesunde
Art des Gedankenganges und der Materialverarbeitung,
die unsere Altvordern charakterisiert, ward zur Norm,
sondern die Nachahmung ihrer Ausdrucksweise. Die
»Vorlage« feierte Triumph über Triumph, nicht aber
das selbständig gereifte Entwickelungsresultat. Wo die
Architektur auf die Motive der »Deutsch-Renaissance«
zurückgriff, da wurde ohne viel Federlesens alles Dar-

normieren müssen,
dem Formenschatze
mißhandelte diesen

gebotene genommen, um es neuerdings in An-
wendung zu bringen. Monumentalmotive wur-
den ohne Zaudern auf kleine Verhältnisse zu-
rückgeschraubt und damit eine ganz unglaub-
liche Verwirrung für räumliche Begriffe groß-
gezogen. Man rechnete nicht mehr mit Ver-
hältnissen, die sich nach dem Einzelobjekte
sondern man wühlte in
der Vergangenheit und
in entsetzlichster Weise.
Das formale Element begann ein schwerlasten-
des Übergewicht gegenüber dem eigentlichen
Baugedanken zu bekommen. Von dem Wieder-
gewinn einer eigentlich heimatlichen Kunst im
Sinne, wie sie uns in den Überbleibseln alter
Städte noch erhalten ist, war keineswegs die
Rede, mochte auch »altdeutsch« das alles beherr-
schende Schlagwort sein. Dazu fehlt vor allem
jenes hochstehende Allgemeinkönnen, was die
Epochen der künstlerischen Eigenvergangenheit
kennzeichnet. Das Individuum hatte damals
mehr Spielraum; der Ballast von Verordnungen,
den ausdruckslose Zeiten immer an die Stelle
der hocheinzuschätzenden Leistung setzen, be-
hinderte den Bauenden nicht so wie heute, wo
die »Vorschrift«, der »Paragraph« weit ausschlag-
gebender ist als die Bemessung des künst-
lerischen Vermögens. Wir ersticken ja förmlich
in der Häufung des gesetzlichen Wohlwollens,
das überall seine normierende Wirkung in tat-
sächlichem Rückgange des freien Schaffens be-
merkbar macht.

Von den guten, auch heute noch beher-
zigenswerten Seiten der heimatlichen Kunst
wurde im großen und ganzen das Wichtige
nicht zur Grundlage der Wiederaufnahme
eigener Wirksamkeit. Dagegen aber bemäch-
tigte sich die Industrie der Sache. Hier liegt
ein Krebsschaden der ganzen Bewegung.
Nicht die Liebe zu echter Kunst nahm zu, sondern
die allgemeine Neigung zum Unechten, Geringwertigen.
Wo in aller Welt sind Mißgriffe ohne Zahl im Laufe
weniger Jahrzehnte geschehen, wie sie durch das völlig
unverstandene Aufgreifen der Deutsch - Renaissance-
formen seitens Unberufener zustande gekommen sind!
Gehen Sie einmal herum in den Städten, wo die
Zeugen ehemaliger gesunder Entwicklung noch
stehen und vergleichen Sie damit, was die letzten
drei Jahrzehnte im Vergleich dazu an nennenswerten
künstlerischen Leistungen aufzuweisen haben! Welche
andere Zeit hat es fertig gebracht, auf Vorrat fabri-
zierte Säulen, Gesimse, Ornamente aller Art in buntem
Kauderwelsch zu vereinigen, um daraus ein architek-
tonisches Gebilde erstehen zu lassen! Die Zeit der
geistlosen Reißbrettarchitektur war mit allen Schreck-
nissen zur vollen Herrschaft gelangt und hat Zustände
geschaffen, die wohl kaum einer von Ihnen, meine
Herren, als wünschenswerte Errungenschaften be-
zeichnen wird. Alle und jede lokale Tradition, die
sich doch in den noch vorhandenen Bauten älterer
Zeit deutlich ausspricht, ging total verloren. Die
 
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