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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Zur Frage der Errichtung von Lehrwerkstätten: (Rede des Korreferenten H. E. v. Berlepsch-Valendas in Planegg-München beim Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0196

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ZUR FRAGE DER ERRICHTUNG VON LEHRWERKSTÄTTEN

185

SCHRANK (S. 184) GEÖFFNET
ARCHITEKT A. ALTHERR, BERLIN

Bahnhofstraße in N. N. sieht genau so charakterlos
aus als dasselbe Wesen gleichen Namens in X. Y. Z.
Der Sinn für die Anpassung an das landschaftliche
Bild scheint überhaupt ganz abhanden gekommen zu
sein. Man setzt aus kleinlichen Motiven zusammen-
geschweißte Villen und Wohnhäuser ebenso an die
Halden des Gebirges, wie an den Strand der See
und das Bauernhaus, dess' eigenartige Seiten auch
heute noch nicht genügsam gewürdigt werden, trotz-
dem es zahllose verwertbare Hinweise auf vernünftige
Ortsüblichkeiten enthält, erliegt auch mehr und mehr
der Invasion dieser problematischen Beglückung durch
die Arbeit derjenigen, die sich um Örtlichkeit und
dazu passende Erscheinung weit weniger kümmern,
als um die stetige Wiederholung dessen, was sie auf
der Schule an Stilweisheit gelernt haben. Das aber
ist in den meisten Fällen Drill, nicht künstlerische
Anregung. Wie sich die lokale Eigenart vorzüglich
auch den modernen Anforderungen anpassen läßt,
zeigen eine Reihe von Münchener Putzfassaden; wie
man aber anderswo trotz Anwendung von Rund-
und Spitzbogen den Reiz der persönlichen Ausdrucks-
weise nicht zu gewinnen vermag, beweisen Bauten,
wo der Versuch gemacht wurde, im Sinne des be-
stehenden Stadtbildes weiterzuarbeiten. Auch da

übertönt das akademische Wesen jede freiere Regung,
und der große Wurf gelingt nur ganz, ganz wenigen.
Mit Erkerchen, Türmchen und den übrigen zur Ver-
fügung stehenden Elementen wird Stück für Stück
der neuen Leistungen herausgeputzt. Einen künst-
lerischen Tiefstand allgemeiner Art, wie diesen, hat
die Architektur wohl zu keiner Zeit noch besessen.
Und das alles geschieht in der Meinung, damit seien
wieder nationale Wege beschritten. Dafür aber er-
wuchsen, freilich nicht im Sinne von Stilarchitekturen,
neue Gebilde, die unserer Zeit gehören: Hallen, Türme,
Brücken aus Eisenkonstruktion und Glas, wahre Kinder
der Zeit. Auch hier versucht sich die akademische
Anschauung einzudrängen. Man sieht Pilaster, Säulen,
Kapitelle aller Ordnungen auch bei solchen Kon-
struktionen in Anwendung gebracht, aber durchweg
in unpassendster Weise und geschmacklosester Art.
Man versucht — und das ist äußerst bezeichnend
für die Anschauung — auch diesen absolut eigen-
artigen Dingen ein dekoratives Mäntelchen umzuhängen,
das irgendwo erborgt ist, statt die volle Ursprünglich-
keit der Materialbehandlung zu Recht bestehen zu
lassen. An die mächtigen eisernen Brückenbogen,
die sich ob den Wassern breiter Ströme spannen,
setzt man in vollster Verkennung der Umstände
Pylonen mit Palastfassadenmotiven, nachdem bereits
früher versucht wurde, das Problem einer umfang-
reichen Bahnhofanlage in gotischer Weise zu lösen!!!

Und wie sieht es mit den vielgepriesenen alt-
deutschen Wohnzimmern aus? Ich will dieses Kapitel
lieber nicht berühren.

Die maschinelle Produktion bemächtigte sich, ob-
schon die alten Muster sich für deren Herstellungs-
grundbedingungen durchaus nicht eignen, aller mög-
lichen Vorbilder, und es begann ein förmliches
Ausschlachten der Motive. Ich erinnere nur an ein
drastisches Beispiel: Die mit Recht berüchtigt ge-
wordenen Berliner Cuivre-poli-Arbeiten, die noch
heute in manchem deutschen Bürgerhause, auch im
Palais der oberen Zehntausend, neben anderen gleich-
wertigen Dingen bestimmend für die durchschnittliche
Entwickelungshöhe des allgemeinen Kunstempfindens
sind. Die Verwechselung zwischen Palastfassadenstil
und Möbelerfordernis wurde ohne Bedenken wieder
aufgenommen, und durch die massenhafte Verbreitung
billiger, dabei schlecht gearbeiteter Objekte dieser Art
eine allgemeine Depression der einfachsten ästhetischen
Anschauungen erreicht. Es ist unnötig, weiter zu
exemplifizieren: die Zeugen dieser Zeit treten so
massenhaft auf, daß sich ihrer Einwirkung kaum
jemand zu entziehen vermag. Nicht der Geist, der
»Unserer Väter Werke« durchseelt, sondern eine
vielfach schreckhafte Geistlosigkeit war in den Besitz
unumschränktester Macht gekommen.

Ich erinnere mich dabei unwillkürlich an ein
Wort von Morris in seiner Abhandlung über Die
Aussichten der Architektur in der Zivilisation«, wo
er sagt: »Nur die mit Einbildungskraft vollführte
Arbeit ist die eigentliche Blüte der hoffnungsvollen
Zivilisation; sie mochte die Menschen dazu führen,
nach der Vollkommenheit zu trachten: jede Hoffnung,
 
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