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ZUR FRAGE DER ERRICHTUNG VON LEHRWERKSTÄTTEN
GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNO 1904,
DAMENMUS1KZIMMER VON ARCHITEKT
A. ALTHERR, BERLIN
die sie erfüllt, läßt wieder eine andere Hoffnung ent-
stehen. In ihr liegt der Wert und die Bedeutung
des Lebens und sie erweckt in uns das Streben,
dennoch alles zu verstehen, nichts zu fürchten und
nichts zu hassen; sie ist mit einem Worte das Symbol
und das Sakrament des Mutes zum Leben!«
Wen, meine Herren, beschleichen derartige Ge-
danken, wenn er mit vorurteilsfreiem Blicke die
Schöpfungen ansieht, welche sich als Sprößlinge der
Kultur des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts zu
erkennen geben! Wie wenig von dieser schöpferischen
Einbildungskraft ist da zur Verausgabung gelangt,
wieviel Talmigold aber macht sich überall bemerkbar!
Diese Zeit des »Wiedererwachens < ist die Periode,
in der die meisten deutschen Kunstgewerbeschulen
und Museen entstanden. Sie erwuchsen aus dem
Bedürfnisse heraus, den handwerklich genügend Vor-
geschulten mit jener künstlerischen Ausbildung zu
versehen, die er nur in den seltensten Fällen in der
eigentlichen »Werkstatt«, sofern er das Glück hat, in
einer solchen unterzukommen >), zu gewinnen vermag,
1) Sehr viele Werkstätten und zwar nicht die schlechtesten,
welche aber dennoch von ihm verlangt wird.
So gut nun dieses Vorhaben war, so hat es
doch ganz andere Resultate gezeitigt. Die Welt
bekam allmählich eine neue Art von Wesen
beschert, den »Kunstgewerbezeichner«, das heißt
Leute, die, meist mit geringer Vorbildung aus-
gestattet, weder dahin zählen, wo die oft gleich-
wertigen Vertreter der hohen Kunst sich ein-
registriert wissen wollen, noch anderseits mit
dem Handwerk, mit der Praxis auf jenem in-
timen Fuße stehen, der sie befähigt, sich mit
Recht den Vertretern des praktischen Könnens
beigesellen zu dürfen. Sehr viele dieser Schul-
institute haben ihren Zweck allmählich vollstän-
dig verfehlt dadurch, daß sie keine Lehranstalten
für das Leben blieben, sondern eine Art von
freien Kunstschulen wurden und damit jenes
Proletariat vermehren halfen, das in seinen Lei-
stungen mit dem Stolze des künstlerischen Be-
wußtseins nur selten Schritt hält. Die Staaten
geben für die Heranziehung solcher Existenzen
enorme Summen aus. Das gehört mit zum
Kapitel der »Öffentlichen Kunstpflege«, die, be-
gegnet sie wirklich hin und wieder einmal der
»Kunst«, sich kaum zu erinnern vermag, ob
sie dieses eigenartige Wesen schon einmal ge-
sehen hat oder nicht.
»Die Kunst, auf dem Papier jedem Wunsche
gerecht zu werden«, das ist im großen und
ganzen das Resultat, das bei dieser Art von
Schulbetrieb zutage getreten ist. Die Berührung
mit der Praxis fehlt durchschnittlich überall.
Über die Unerfreulichkeit dieser Tatsache braucht
wohl kaum weiter gesprochen zu werden.
Dennoch besteht vielenorts die Sache ruhig
weiter, als ob nicht mächtige Forderungen der
Zeit auf die Notwendigkeit einer zweckdien-
licheren Organisation, auf die Zurückdrängung
der vielfach unzweckmäßigen und hohe Kosten
verursachenden Schulbetriebe hinwiesen.
Die letzten Jahre haben in Deutschland eine Be-
wegung groß werden sehen, die sich in bewußten
Gegensatz zu der vielfach durchaus verflachten Schul-
praxis stellt. Glauben Sie nicht, meine Herren, daß
ich einer Sache das Wort reden wolle, die durch
einige Änderungen des ornamentalen Beiwerkes einen
»neuen Stil zu schaffen sich vermißt, gegen den
Furchtsame und Nichtskönner eine entsetzliche Ab-
neigung haben, als ob es beim Durchbruch neuer
Ideen auf solches Beiwerk ankäme. Die Zwecke und
Endziele der mit Naturnotwendigkeit geborenen Reak-
tion gegen das Schulwesen, gegen das ewige bloße
Kopieren und seine verderblichen Konsequenzen liegen
ganz wo anders als in dem bißchen Schmuckwerk,
das mehr und mehr zurücktreten wird gegenüber den
mächtigen Forderungen, die sich in den Begriffen:
nehmen heute überhaupt keine Lehrlinge mehr auf und
stellen zur Ausführung der Dienste, welche diese sonst
zu verrichten hatten, Taglöhner an, da diese weniger
Kosten verursachen als der Lehrling.
ZUR FRAGE DER ERRICHTUNG VON LEHRWERKSTÄTTEN
GROSSE BERLINER KUNSTAUSSTELLUNO 1904,
DAMENMUS1KZIMMER VON ARCHITEKT
A. ALTHERR, BERLIN
die sie erfüllt, läßt wieder eine andere Hoffnung ent-
stehen. In ihr liegt der Wert und die Bedeutung
des Lebens und sie erweckt in uns das Streben,
dennoch alles zu verstehen, nichts zu fürchten und
nichts zu hassen; sie ist mit einem Worte das Symbol
und das Sakrament des Mutes zum Leben!«
Wen, meine Herren, beschleichen derartige Ge-
danken, wenn er mit vorurteilsfreiem Blicke die
Schöpfungen ansieht, welche sich als Sprößlinge der
Kultur des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts zu
erkennen geben! Wie wenig von dieser schöpferischen
Einbildungskraft ist da zur Verausgabung gelangt,
wieviel Talmigold aber macht sich überall bemerkbar!
Diese Zeit des »Wiedererwachens < ist die Periode,
in der die meisten deutschen Kunstgewerbeschulen
und Museen entstanden. Sie erwuchsen aus dem
Bedürfnisse heraus, den handwerklich genügend Vor-
geschulten mit jener künstlerischen Ausbildung zu
versehen, die er nur in den seltensten Fällen in der
eigentlichen »Werkstatt«, sofern er das Glück hat, in
einer solchen unterzukommen >), zu gewinnen vermag,
1) Sehr viele Werkstätten und zwar nicht die schlechtesten,
welche aber dennoch von ihm verlangt wird.
So gut nun dieses Vorhaben war, so hat es
doch ganz andere Resultate gezeitigt. Die Welt
bekam allmählich eine neue Art von Wesen
beschert, den »Kunstgewerbezeichner«, das heißt
Leute, die, meist mit geringer Vorbildung aus-
gestattet, weder dahin zählen, wo die oft gleich-
wertigen Vertreter der hohen Kunst sich ein-
registriert wissen wollen, noch anderseits mit
dem Handwerk, mit der Praxis auf jenem in-
timen Fuße stehen, der sie befähigt, sich mit
Recht den Vertretern des praktischen Könnens
beigesellen zu dürfen. Sehr viele dieser Schul-
institute haben ihren Zweck allmählich vollstän-
dig verfehlt dadurch, daß sie keine Lehranstalten
für das Leben blieben, sondern eine Art von
freien Kunstschulen wurden und damit jenes
Proletariat vermehren halfen, das in seinen Lei-
stungen mit dem Stolze des künstlerischen Be-
wußtseins nur selten Schritt hält. Die Staaten
geben für die Heranziehung solcher Existenzen
enorme Summen aus. Das gehört mit zum
Kapitel der »Öffentlichen Kunstpflege«, die, be-
gegnet sie wirklich hin und wieder einmal der
»Kunst«, sich kaum zu erinnern vermag, ob
sie dieses eigenartige Wesen schon einmal ge-
sehen hat oder nicht.
»Die Kunst, auf dem Papier jedem Wunsche
gerecht zu werden«, das ist im großen und
ganzen das Resultat, das bei dieser Art von
Schulbetrieb zutage getreten ist. Die Berührung
mit der Praxis fehlt durchschnittlich überall.
Über die Unerfreulichkeit dieser Tatsache braucht
wohl kaum weiter gesprochen zu werden.
Dennoch besteht vielenorts die Sache ruhig
weiter, als ob nicht mächtige Forderungen der
Zeit auf die Notwendigkeit einer zweckdien-
licheren Organisation, auf die Zurückdrängung
der vielfach unzweckmäßigen und hohe Kosten
verursachenden Schulbetriebe hinwiesen.
Die letzten Jahre haben in Deutschland eine Be-
wegung groß werden sehen, die sich in bewußten
Gegensatz zu der vielfach durchaus verflachten Schul-
praxis stellt. Glauben Sie nicht, meine Herren, daß
ich einer Sache das Wort reden wolle, die durch
einige Änderungen des ornamentalen Beiwerkes einen
»neuen Stil zu schaffen sich vermißt, gegen den
Furchtsame und Nichtskönner eine entsetzliche Ab-
neigung haben, als ob es beim Durchbruch neuer
Ideen auf solches Beiwerk ankäme. Die Zwecke und
Endziele der mit Naturnotwendigkeit geborenen Reak-
tion gegen das Schulwesen, gegen das ewige bloße
Kopieren und seine verderblichen Konsequenzen liegen
ganz wo anders als in dem bißchen Schmuckwerk,
das mehr und mehr zurücktreten wird gegenüber den
mächtigen Forderungen, die sich in den Begriffen:
nehmen heute überhaupt keine Lehrlinge mehr auf und
stellen zur Ausführung der Dienste, welche diese sonst
zu verrichten hatten, Taglöhner an, da diese weniger
Kosten verursachen als der Lehrling.