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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

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Seliger, Max: Die praktische Betätigung der Lehrer: der Zusammenhang der technischen und kunsttechnischen Schulen und die Einrichtung von Meister- bezw. Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe- und Fachschulen, (Rede des Referenten Direktor Professor M. Seliger auf dem Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0213

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202

DIE PRAKTISCHE BETÄTIGUNG DER LEHRER

GROSSH. MAJOLIKAMANUFAKTUR KARLSRUHE,

WANDPLATTE NACH ENTWURF VON

DIREKTOR HANS THOMA

gesetzt hat, sollte im Interesse gesunder Entwickelung
der deutschen Volkskunst und im Interesse der Er-
ziehung des Volkes zur Herrschaft gebracht werden.
Diese neue Schönheit dürfte geeignet und berufen
sein, volkstümlich und beständiger zu werden. Es ist
unzweifelhaft, daß die Kunst sich jetzt von den Be-
dürfnissen des Lebens losgelöst hat, und daß unsere
Schulen, unsere Staatseinrichtungen und die herrschen-
den Arbeitssitten hierbei stark mithelfen. Im letzten
Sinne gibt es keine freie Kunst. Alle gesunde Kunst-
erzeugung ist angewandt, unfrei und in gewisser
Weise sogar Architektur. Selbst das sogenannte freie
hohe Einzelkunstwerk wird am besten zugleich mit
seiner Umgebung erfunden. Oder wer könnte diese
für es passender oder mit größerer Rücksicht und
Liebe erschaffen als sein eigener Schöpfer, wenn der
es könnte, das heißt gelernt hätte. Man arbeitet
und kämpft für »Kunsta/Kstellungen« aus den Lebens-
bedürfnissen, statt für Kunstm/stellungen in das Leben.
Man erzeugt jetzt schon einzelne Kunstwerke für die
Museen und speichert sie dort in Massen auf, statt
sie für das tägliche Verkehrsleben zu erschaffen und
sie sogar zu verbrauchen. Man konserviert Kunst-
werke für wenige Augenblickseindrücke, statt sie überall
und fortwährend zu konsumieren und sie so in Kultur
und Menschentum zu verwandeln. Die Museen wer-
den gehandhabt, als wären sie Endzweck aber nicht
Mittel zur Aufzucht direkter Haus- und Volkskunst.
Dieser Museumsgcist ist kulturhemmend, er macht

die Kunst zu einem Luxusgut für wenige Müßige
und für wenige Augenblicke. Kurz, wir handeln wie
ein unpraktisches Volk, wir erziehen nicht genügend
für das wirkliche neue Leben, sondern im Geiste der
Bedürfnisse der Vergangenheit.

Ich muß dabei immer an Goethes Wort denken,
das er im »Faust« Wagner sprechen läßt: »Wenn
man so in sein Museum gebannt ist und sieht die
Welt kaum einen Feiertag« — so kann man leicht
die Fühlung mit ihr und ihrer Entwickelung ver-
lieren.

Das in Braunschweig Vorgetragene lautet:
Meine Herren!

Die auf dem vorigen 13. Delegiertentag der
deutschen Kunstgewerbevereine in Leipzig Versam-
melten gaben der Ansicht Ausdruck: »Die Lehrkräfte der
kunstgewerblichen Schulen sind nicht nur nicht zu
hindern, sondern womöglich zu verpflichten, sich an
der Lösung zeitgemäßer Aufgaben zu beteiligen. Nur
durch diese produktive Tätigkeit wird den Lehrern
die innige Fühlung mit den modernen Forderungen
und mit der modernen Kunsttechnik erhalten«.

Ich hoffe nicht allein zu stehen in der Ansicht,
daß unsere jetzige Kunstgewerbeschule durchschnittlich
reformbedürftig ist. Wenn wir aber eine entgegen
gesetzt gesinnte Resolution gefaßt hätten, würden \\
nicht nur die Schule zu Stillstand, das heißt zu allmäh-
lichem Rückgang gezwungen, sondern einen großen
Schritt zu ihrer Verschlechterung getan haben. Wir
kennen alle das Wort »allesfließt«,allesbewegtsich. Wer
also den jetzigen Zustand festhält, stemmt sich gegen
das Naturgesetz der Entwickelung. Ich will versuchen
zu beweisen, daß die Schule selber die Reform er-
streben sollte, ehe sie von außen erzwungen wird.

Ich möchte noch vorher die Lehrer der Kunst-
gewerbeschule, die nach mehr »Praxis« und lebens-
vollerem Unterricht in der Schule streben, verwahren
gegen den Verdacht, daß sie es aus egoistischen
Gründen tun. Es geschieht lediglich aus ideellen,
aus aufrichtiger Fürsorge um die Zukunft des deutschen
Volkes auf diesem Gebiet.

Ich persönlich kämpfe dafür in erster Linie aus
pädagogischen Gründen. Ich glaube auch einiges
Recht dazu zu haben, weil ich selbst ein Produkt
unserer Kunstgewerbeschule bin, weil ich am eigenen
Leibe als Schüler und zehn Jahre als Lehrer an zwei
großstädtischen Kunstgewerbeschulen und ebensolange
als praktisch tätiger Künstler die Probe auf das
Exempel meiner Erziehung zu machen vielfache Ge-
legenheit hatte. Ich habe auch die engen Beziehungen
zwischen Schule und Praxis und den verwandten
Gebieten erlebt und spreche in den folgenden An-
deutungen nichts nach.

Meine Herren, es ist unmöglich, die Zustände auf
einem Teilgebiet zu betrachten und zu bessern, ohne
die nachbarlichen ebenso ins Auge zu fassen. Es
kann auch nicht zweifelhaft sein, daß heute über die
meisten Fragen hinsichtlich der bildenden Künste
und ihres Verhältnisses zum Gewerbe und zu der
Industrie große Verwirrung herrscht.




 
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