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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

DOI Artikel:
Seliger, Max: Die praktische Betätigung der Lehrer: der Zusammenhang der technischen und kunsttechnischen Schulen und die Einrichtung von Meister- bezw. Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe- und Fachschulen, (Rede des Referenten Direktor Professor M. Seliger auf dem Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0215

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204

DIE PRAKTISCHE BETÄTIGUNG DER LEHRER

OROSSH. MAJOLIKAMANUFAKTUR KARLSRUHE,
FLIESENBILD VON MALER WILLY SÜS

Das plastische Organ des Baumeisters ist ebenso
selten entwickelt, so daß die Mitarbeit des Plastikers
wenig erstrebt wird. Die Freude des Architekten ist
wesentlich der Schmuck an der Wand, so daß er den
Kunstgewerbe bevorzugt. Sein Schönheitsideal ist
noch das reiche äußerliche. Die Architektenmehrheit
bedient sich sogar noch der Schein- und Surrogat-
techniken. Man hängt die Maske vor, statt das wahre
Gesicht zu zeigen. Als ob nicht jedes Material schön
wirkte, als ob es echt und wahr und charakteristisch
nicht gezeigt oder behandelt werden könnte. Ich
glaube, daß jedesmal eine Lösung gefunden werden
kann, die das Material wahr zeigt, und die dabei die
ästhetische Tat nicht schmälert. Ich glaube, daß diese
Lösung stets schöner als die in der Imitation, in dem
Masken- oder Ersatzstoff wirkt. Ich glaube auch, daß
solche Lösungen, die deutscher und erfreulicher
wirken, dabei nicht einmal teurer als »Mogel- oder
Entlehnungstechnik« »geliefert« werden müßten. Ich
glaube, daß bei dem absichtlichen Streben, den Mate-
rialcharakter ehrlich zu zeigen und ihn durch die
Konzeption klar zu machen, der beste Weg zum Heil
aller Parteien und ihrer Erzeugnisse gefunden werden
kann. Jetzt macht man in Putztechnik Steinquadern,
macht aus Gips scheinbar Holz, aus Holz Marmor
u. s. w., ohne daß eine vernünftige Ursache hindert,
in jedem dieser schönen Stoffe selbständige Lösungen
zu suchen und zu finden. Diese aber zu suchen
besteht indirekt der Grund, dem Nachbarn nicht ins
Gehege der ihm am nächsten liegenden Wirkungen
seiner Technik, auf deren Anziehungskraft er zuerst
ein natürliches Anrecht hat, zu kommen und zugleich
der Grund, bei umgekehrter Gesinnung nicht die
eigene Technik zu entarten, oder ihre Anziehungs-
fähigkeit durch entlehnte Wirkungen fremder Tech-
niken zu entkräften, dabei für andere, statt für sich selber
fechtend. Die Bemalung, die nicht Imitation will,

kann natürlich alles, sogar Bilder oder selbständige
Ornamentik geben, wodurch dann das Werk auf wert-
losem Grunde wertvoll wird, ohne daß ein anderer
Materialeigner geschädigt wird. Der Farbenaufstrich
kann auch nur Schutz oder aus Rücksicht auf Um-
gebung gewählt werden, ohne daß er dabei seine
Existenz selbst verbirgt. Färbung oder Farbaufstrich
ist auf jedem Grund wie auch auf Leinwand gestattet,
sobald nicht entlehnte Materialwirkung, sondern eigne
Malereiwirkung erstrebt ist. Vergoldung erweckt den
Eindruck festes, unleicht zerstörbares Metallnes zu
zeigen, daher sollte sie nur auf unleicht zerbrech-
lichen Dingen geschlossen auftreten. Tritt sie nur in
Linien oder kleinen Flächen, also als Teil oder Glied
eines ganzen Körpers, und nicht geschlossen auf, so
ist eine Täuschung verhindeit und nicht unnachbar-
lich gearbeitet.

Das erste Ziel unserer Baukünstler scheint mir
die Fassade zu sein. Sie bauen oft Häuser mit
nur einer künstlerisch gemachten Wand, daneben
dulden sie am selben Geschöpf Rohformen in pro-
visorischen Techniken. Die Häuser wirken oft so,
als wären sie von außen nach innen, nur auf dem
Reißbrett und für des Architekten eigene Lebensweise
erfunden. Farbig plastische Raumvisionen, für be-
stimmte Licht- und Lebensverhältnisse, um die die
Mauern herumgebaut werden, so daß das äußere C
häuse den inneren Zweck oder Dienst des Haust,
klar spiegelt, kommen äußerst selten vor.

Man gefällt sich jetzt in dem Ziel schöner Per-
spektivzeichnungen und -Gemälde für Ausstellungen,
Publikationen und Wettbewerbe, man macht wesent-
lich zeichnerische Untersuchungen, statt am Ort mit
großen Modellen zu probieren. Man konzipiert mehr
vor dem Vorlagewerk als auf dem Bauplatz vor der
vorhandenen Stadt. Man entwirft mehr als man baut,
lernt wohl mehr Bauästhetik als Bautechnik.

Man entwickelt dabei selten persönlichen zeit-
lichen Charakter, noch in der Gesamtheit heimatliche
Schule und deutschen Charakter. Das Bauwerk von
X und Y, Museum, Gefängnis, Schule, Privathaus,
sieht zum Verwechseln gleich aus, nur Aufschriften
bewirken sichere Klärung.

Der Plastiker ist der von der Mode am meisten
begünstigte, gesellschaftlich und geschäftlich ge-
hegteste Künstler. Er ist emsig tätig und er-
zeugt mit erstaunlicher Schnelle das deutsche mit
Spießezäunen vom Volk befreite, senkrechte Nornial-
denkmal, sowie die »ausgestellten« von dem bewohn-
ten Haus losgelösten reisenden Bildwerke.

Auch der Plastiker ist wie der Architekt farben-
unkundig und farbenunfreundlich gesinnt. Der
Akademieplastiker hat fast keinen tektonischen Sinn,
da er seine Kunst vom Haus unabhängig, »frei«,
gemacht hat. Er versteht durchschnittlich nicht die
erstorbene Formensprache des Architekten, so daß
dieser außer in der Denkmalkompagnie verhältnis-
mäßig selten mit dem Plastiker zusammen auftritt.

Treten beide zusammen auf, so kommt selten
eine Steigerung im Bauwerk oder Denkmal heraus.
 
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