Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

DOI Artikel:
Seliger, Max: Die praktische Betätigung der Lehrer: der Zusammenhang der technischen und kunsttechnischen Schulen und die Einrichtung von Meister- bezw. Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe- und Fachschulen, (Rede des Referenten Direktor Professor M. Seliger auf dem Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0221

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
210

DIE PRAKTISCHE BETÄTIGUNG DER LEHRER

vor leeren Reißbrettern. So geschah es vor der
Vorlage, dem Abbild vom Werke eines Kollegen,
meist eines verstorbenen. Dieses Komponieren be-
steht in der Regel im Zusammenflicken übernom-
mener oder etwas ver-
änderter Elemente des
Urbildes zu einem so-
genannten neuen Werk.
Daß dabei die Gefahr
des Entlehnens statt des
Anlehnens sehr nahe
liegt, ist einleuchtend,
ebenso, daß dabei schwer-
lich der persönliche Cha-
rakter des Schülers und
ein nachbarlicher ritter-
licher Sinn im späteren
Kampf ums Dasein in
der »Praxis« entwickelt
wird.

DieseGefährdung der
Charakterentwickelung

und der Entwicklung des nachbarlichen und moralischen
Schöpfergeistes bezieht sich zuletzt auf die Nation.
Dabei werden sowohl geschichtliche ästhetische Formen
übernommen und als neue ausgegeben (Stilwechsel,
Geschichtsfälschung, Geschichtsverwirrung), als auch
mit fremdländischer Form der deutsche Charakter
unrein gemacht oder unterdrückt (griechische, asiatische
Ästhetik und Formideale, mit denen auch die oberen
Schichten unseres Volkes im humanistischen Gym-
nasium aufgesäugt und entdeutscht werden).

In der Schule erstreckte sich diese bedenkliche
Gewöhnung wesentlich auf Konzeptionen und Vorwerk-
techniken, weil sie durchschnittlich nur diese pflegen
durfte oder wollte.

Ich weiß wohl, daß man jetzt auch direkt aus
Naturmotiven komponiert, man kann aber nich tech-
nischen Zwang beweisen. Die Schulsitten erschienen,
wie wir sahen, in der »Praxis«. Hier ging man
naturgemäß, weil keine Grundsätze und Gesetze in
den Arbeitssitten aufgestellt und gelehrt werden, auch

zu der Entlehnung technischer Reize und Wirkungs-
mittel über, mit denen der Nachbar um sein Brot
ringt.

So erhielten wir noch zu dem ästhetischen den
technischen Diebsfahl, die technische Fälschung, die
Imitations- und Surrogattechniken, an denen wir, be-
sonders im machtvollen Massenwerk der Fabrik-
techniken, jetzt kranken. Ich spreche diesen jetzt
durchschnittlich eine erzieherische Kraft ab.

Hier und beim Händler hört man auch regel-
mäßig das Wort, »das Publikum will es so«. Unter
»so« ist wohl mehr das Problem als das »wie« seiner
Lösung gemeint. Damit hat sich dann das .mora-
lische Erzeuger- und Vertriebsrecht dieser Redner
selbst gerichtet, wenn sie auf Laien Rücksicht nehmen
und von diesen ihre Ehrbegriffe und Ziele erbitten,
statt als Mehrwisser diese aufzuklären und zu erziehen.
Um das zu können, muß man allerdings einig und
dazu gewillt sein.

Da aber in breiten Kreisen der sogenannten »Praxis«
die Techniken, ohne Verantwortungsgesinnung, geübt
werden, so hat die »Praxis« auch das Recht verwirkt,
sie allein zu lehren. Es ist vielmehr jetzt das Recht

und die Zeit für die
Schulen gekommen, sich
des nicht minder wich-
tigen ausführungstech-
nischen Teiles der Werk-
erzeugung auch anzu-
nehmen und denselben
im Geiste der Schulen,

OROSSH. MAJOLIKAMANUFAKTUR KARLSRUHE,
ARBEITEN NACH ENTWÜRFEN VON MALER W. SÜS

das heißt auch in künst-
lerischem Geiste, zu
lehren.

Weil dem Schüler
technische Schwierigkei-
ten bei der Erzeugung
der Konzeption nicht
begegneten, so wurde
die Konzeption naturge-
mäß grenzenlos, flüchtig,
leichtherzig und eitel, vielfach krank und manieriert.
Wie aber gesunder Geist in gesundem Körper ist, so
ist gesunde Ästhetik und Konzeption durch natürliche,
nachbarliche Technik so gut wie gesichert.
 
Annotationen