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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 15.1903-1904

DOI Artikel:
Seliger, Max: Die praktische Betätigung der Lehrer: der Zusammenhang der technischen und kunsttechnischen Schulen und die Einrichtung von Meister- bezw. Lehrwerkstätten an Kunstgewerbe- und Fachschulen, (Rede des Referenten Direktor Professor M. Seliger auf dem Delegiertentage des Verbandes deutscher Kunstgewerbevereine zu Braunschweig, 20. März 1904)
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https://doi.org/10.11588/diglit.4871#0223

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212

DIE PRAKTISCHE BETÄTIGUNG DER LEHRER

GROSSH. MAJOLIKAMANUFAKTUR KARLSRUHE,
WANDTELLER VON MALER WILLY SÜS

aber in dieser Richtung in der Schule Dinge gesehen,
die direkt zum persönlichen wirtschaftlichen Ruin
und zum Tode der eigenen Kunsttechnik führen. Ich
erinnere nur an den Holzschnitt, der jetzt Holzstich,
Metalldruck und Lupenkunst ist, und an die Litho-
graphie der Anstalten, an imitationsfreudige sich
selbst entcharakternde Reproduktions- statt Produktions-
techniken in den graphischen Künsten und den aus
Mangel an Schule oder aus halber Schule dann un-
absichtlich und unbewußt herbei gearbeiteten Verfall
dieser Kunsttechniken.

Ich wiederhole nochmal, woran die jetzige Kunst-
gewerbeschule nicht gewöhnt.

i. Nicht an vorbildliche Arbeits- oder Werkerschaf-
fungssitten,

2. nicht an die Pflege nachbarlicher Gesinnung be-
züglich Ästhetik und Technik, die eine Gesund-
heit und ein Erblühen der deutschen Arbeit und
ihrer Schöpferklassen gewährleistet,

3. nicht an Schätzung der technischen Seite des
Werkes, des »Wie« der Arbeit,

4. nicht an die Pflege der Ausführungs- oder End-
techniken des Werkes,

5. nicht an die im Interesse der Qualität des Werkes
heilvolle Untrennbarkeit von Erfindung und Aus-
führung (von Vorwerk- und Werktechniken, die
gleiche Schöpferkraft und -liebe brauchen!),

6. nicht an verständnisvolles Zusammenarbeiten beider
ev. getrennt wirkender, aber gleich guter Schöpfer-
parteien (der Schlosser und Tischler an derselben
Tür, Maler und Architekt in demselben Raum),

7. nicht an Verständnis für technische Schranken,
für Material- und Werkzeugschranken, für Zeit-,
Umgebungs-, Maßstabs-, Geld- und andre Schranken
bei der Konzeption der Modelle und Entwürfe,

8. nicht an die Lösung lebensvoll moderner, wirk-
lich vorhandener, statt abstrakt idealer oder histo-
risch vergangener Probleme.

Es ließen sich noch mehr Streiflichter auf die

jetzigen Kunstgewerbeschulen und ihre Verwandten
werfen, ich muß wegen Zeitmangels darauf ver-
zichten, andere zu zeigen. In Summa: sie fördern
in ihrer jetzigen Verfassung bedenkliche Sitten und
ungesunde Halbtat. Eine Blüte des Geistes dieser
Schulen dürften auch die Wettbewerbsmoden sein,
die auch Halbwerk und das Arbeiten von ferne mit
fremden Künstlern in brieflichem ungenauem Verkehr
und als Ziel Entwürfe und Ideen einführen, statt
persönlichen eingehenden Verkehr und ganze Arbeit
oder ganze Werke zu erstreben.

Von dem Gewerbler, Handwerker und Industriellen
möchte ich sagen: das solide ehrliebende Handwerk
ist so gut wie tot. Der technikerfahrene alte Geselle
des Handwerks droht auszusterben. Mit ihm werden
wir manch gutes Rezept, manch wertvolle technische
Erfahrung unrettbar verlieren. Die Arbeit wird immer
mehr durch Arbeitsteilung lieblos und charakterlos.
Die Schöpferfreudigkeit schwindet dahin, weil die
einzelnen Köpfe und Hände wie Teilmaschinen und
Maschinenteile verwandt werden.

Der eine Professionist ist rücksichtslos und gleich-
gültig gegen das Werk des andern, des Kollegen,
mit dem er in unseren Wohnungen für denselben
Zweck oder für dasselbe Problem zusammenwirkt. Das
Ziel ist: wenig Arbeitsstunden und viel Geld dafür.
Einer schiebt die Schuld für schlechte Arbeit oder
Unbrauchbarkeit des ganzen gemeinsamen Werkes
dem andern zu, es kommt nie heraus, wer sie ver-
darb. Eiligst präsentiert man die Rechnung, fordert
nicht, daß man sich davon überzeuge, daß gute oder
vernünftige Arbeit gegeben oder getan wurde.

Ich weiß sehr wohl, daß einige Schulen auch
schon werkstattmäßig zu arbeiten beginnen, ich strebe
selber so in der mir übergebenen; aber ich wünsche
im Interesse des aufkommenden Geschlechts und des
Wohlstandes unseres Vaterlandes, daß dieses Ge-
schlecht künftig bessere, wertvollere Arbeit erzeugen
kann, als wir es jetzt können und durchschnittlich
erstreben. Dazu ist eine Wandlung der Begriffe von
der Arbeit, und der Wege zu ihrer Herstellung nötig.

Auch die Stetigkeit und Vertiefung unserer Bemüh-
ungen in der ästhetischen Richtung ist wünschenswert
und denkbar, wenn sie an eine hochgesinnte Technik
gebunden ist, die naturgemäß trotz unserer schnell sich
entwickelnden Maschinentechnik doch dauerhafter ist,
weil Menschenhand und -führung der Maschine eine
stehende Grenze gebietet. Ich glaube, daß wir das
Durchprobieren der historischen alten Stilformen nicht
erlebt, daß wir jedenfalls früher Halt gemacht und
zeitgemäßere Ästhetik gefunden hätten, wenn die
Schule die Technik auch gepflegt hätte. So wäre
von selber und früher die Erkenntnis gekommen, daß
mit dem Zeichnen oder Modellieren von Kunst-
gewerbe, daß durch Verwandeln erstorbener Formen
und Arbeitsweisen, die eben ihre Zeit erfüllt haben,
auf dem Wege des Kopierens nie moderne passende
lebensvolle Werke entstehen konnten.

Jedenfalls muß es ein Ende haben, daß Schule
und Praxis sich bekämpfen, weil sie nicht natürliche
Verbindung und gleiches Ziel haben.
 
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