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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Rauecker, Bruno: Der Krieg als Erzieher zur Type, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0016

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ständlicher Notwendigkeit die Frage nahe: Kann die
deutsche Kultur, als der Qesamtausdruck des künstleri-
schen Lebenswillens der Nation, diesen weitumfassen-
den Bindungen wirtschaftlicher, sozialer und politischer
Art ähnliches an die Seite stellen? Wird das deutsche
Kunstgewerbe, mit ihm die deutsche Architektur den
Besinnungen des »Vereinzelt seid Ihr nichts, vereinigt
alles« auch auf den Wegen eigenster Bestrebungen
folgen können? —

Die Frage stellen, heißt sie bejahen. In dem näm-
lichen Augenblick, in welchem der einheitliche Wunsch
aller Beteiligten sich zur Förderung einer aus wirt-
schaftlichen und sozialen Ansprüchen geborenen Stil-
politik vereinigen wird, ist dieser angedeutete Weg
beschritten, die Aufgabe des deutschen Werkbundes
für den Rest des Krieges und den kommenden Frieden
fest umrissen; damit aber zugleich der heißbefehdete
Aufgabenkreis der Typenförderungen durch den Bund,
wie ihn Hermann Muthesius in jener schwülen Juli-
versammlung aufzeigen wollte, klar eröffnet und erkannt.

Als eines der wichtigsten Glieder dieser kulturell
wie handelspolitisch gleich bedeutsamen Bestrebungen
muß vor allem eine durchgreifende Organisation unseres
Außenhandels in Qualitätswaren angesehen werden,
der sich — wenn anders er Sinn und Erfolg zeitigen
soll — zweifellos nach Typen orientieren muß. Schon
sind Bestrebungen im Gange, durch Musteraus-
stellungen den Einfluß deutscher Edelerzeugnisse auf
der ganzen Linie ihrer Wirksamkeit zu brechen. Be-
reits hat in England auf Betreiben und mit Unter-
stützung des Handelsministeriums ein englischer Werk-
bund sich aufgetan mit dem ausgesprochenen Zwecke,
deutsche Werterzeugnisse vom Weltmarkt zu vertreiben.
Aus Simla wird berichtet, daß die indische Regierung
beschlossen habe, im Hinblick auf die erfolgreiche
Musterausstellung der aus Deutschland und Österreich
eingeführten Waren in Kalkutta ein permanentes Han-
delsmuseum zu gründen. Im Anschlüsse an die er-
folgreichen amerikanischen Wander-Ausstellungen des
deutschen Museums für Kunst in Handel und Gewerbe
in Hagen in Westfalen ist eine Vertriebsstelle franzö-
sischer Qualitätswaren schon vor etlichen Jahren in New
York eröffnet und jetzt im Kriege wesentlich erweitert
worden. Nicht genug damit: England, Frankreich
und Italien sind mit Eifer und Erfolg bemüht, weit-
reichenden Einfluß auf den neutralen Handel zu ge-
winnen, in den Neubildungen verzweigter Kartelle
und Trusts geeignete Handhaben für erhebliche Roh-
stoffverteuerungen in und nach dem Kriege zu be-
kommen. Sie beraten eine umfassende Wirtschafts-
entente aller Feinde Deutschlands für die Zeit des
Friedens und werden die Wege zu einer kommerziellen
Knebelung auf lange Zeit hinaus sicher zu finden
wissen.

Es muß deshalb die eiserne Pflicht unserer deutschen
Volkswirtschaft werden, diese geplanten Erschwerungen
ihrer Anteilnahme auf dem Weltmarkt auf jede Weise
wett zu machen durch die künstlerische und technische
Qualität ihres Exportes, durch ureigenste, national
betonte und zugleich international begehrte Werte
ihrer verarbeitenden Industrie. Denn nur solche Waren

werden in der Lage sein, die hohen und höchsten
Zollmauern zu überwinden, die (nach einem Aus-
spruche des Nationalökonomen Edmond Thery) die
Verbündeten und ihr Anhang auch nach dem Kriege
vor der »Invasion der deutschen Erzeugnisse« er-
richten wollen. Nur ein nach Typen gerichteter
Handel aber wird sich diesen weltwirtschaftlichen Be-
dingungen anpassen können, nur er, angeschmiegt
den internationalen Bedürfnissen des Weltenbürgers
als Stuhl, Tisch, Schreibzeug, Tafelgedeck usw., über
die wechselnden Länder hin gangbare Wege finden
können. Wir hoffen zuversichtlich, daß der Deutsche
Werkbund wie auch der neugegründete Verband zur
Förderung deutschen Schaffens in Industrie, Handel
und Gewerbe »Deutsche Arbeit« sich diesen Gedanken-
gängen heute schon vertraut machen: von der unlängst
erstandenen Außenhandelsabteilung des Zentralver-
bandes deutscher Industrieller versteht sich dies von
selbst. Denn noch aus einem zweiten, lebendigen und
aufdringlichen Grunde muß die Förderung des Ex-
portes unserer Edelindustrien nach dem Kriege mit
allem Hochdruck betrieben werden: die Unterbilanz
der Qualitätsproduzenten im Kriege hat die Existenz-
bedingungen einer großen Anzahl von Herstellern an
den Rand des Bankerottes gebracht; die Veröffent-
lichungen der Steingut-, Porzellan- usw. Aktiengesell-
schaften lassen dies zur Genüge erkennen. Das aber
bedeutet nicht nur eine Schädigung der betroffenen
Industriezweige allein. Es bedeutet eine Beeinträchti-
gung unserer gesamten, mühsam erzogenen, an Bild,
Gegenbeispiel und Ausstellungen geschulten Ge-
schmackskultus überhaupt. In diesem Betracht greift
die handelspolitische Bedeutung der Wertfabrikation
tiefschürfend hinüber in sozial-ästhetische Fragen der
Volkserziehung, die ohnedem in dem massenweisen
Auftrieb von Kriegsschund bis zur Blasphemie ge-
fährdet worden ist. Auch aus solchem Grunde ist es
deshalb durchaus unabweisbar, den Folgen einer un-
geordneten Wirtschaftspolitik unseres Kunstgewerbes
heute schon nachzugehen, die kulturfördernden Ele-
mente unserer Produktion heute schon zu gemeinsamen
Aufgaben zu vereinigen und zu fördern. Sonst werden
die verderblichen Folgen der »Gründungsjahre« nach
dem siebziger Kriege ein zweites Mal in eine grenzen-
lose Wüste von Ungeschmack und Häßlichkeit zurück-
treiben können.

Schon schwirrt es von drohenden Anzeichen dieser
Art in der Luft. In Ostpreußen haben die berufenen
Förderer seiner Neuerschaffung wiederholt darüber be-
raten, in welchen Formen der Wiederaufbau der zer-
störten Ortschaften sich zu bewegen habe. Die Fach-
zeitung der Tischlermeister und Holzindustrieellen
Deutschlands, Nr. 30, S. 235, bemerkt in der Wieder-
gabe jener Verhandlungen, es könne nicht im voraus
erklärt werden, »daß lediglich Backsteinbau oder Putz-
bau, daß nur gotische Bauweise oder Barockkunst
oder irgend eine andere Stilart gewählt werden soll.
Von einem ostpreußischen Stil allgemein zu reden,
müsse von vornherein ganz abwegig erscheinen. Auch
bei der Aufstellung der Bebauungspläne würde von der
Verfolgung zu weitgehender künstlerischer Ziele ab-
 
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