Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Rauecker, Bruno: Der Krieg als Erzieher zur Type, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0036

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
■■I

DER KRIEG ALS ERZIEHER ZUR TYPE

VON DR. BRUNO RAUECKER-ZEHLENDORF BEI BERLIN

(Schluß aus vorigem Hefte)

K

i.

Abseits von allen diesen gewichtigen Problemen,
ungebunden und ledig jedweden besonderen Zwanges,
einzig den Regeln von Angebot und Nachfrage, dem
fröhlichen Bedürfnisse nach Neuheit und Wechsel ent-
sprossen, steht das Kind erfrischender Ungesetzlichkeit,
die leichtfüßige Mode. Sie in Verbindung zu bringen
mit sachlichen Erwägungen, mit »gesetzlichen«, ver-
ständigen Bedenken, gar aber mit dem »Typus« und
seinen eckigen Härten — wer würde den Tort, das
Verbrechen wider den geblümten Geist der Fraulich-
keiten ernsthaft wagen? Wie, so wird uns mancher
fragen, tritt sie in diesen »typischen« Kreis hinein?
Auch sie! Die Entwicklungen dieses Krieges be-
deuten auch für ihre Grazie ein engeres Gewand,
behutsame Ansätze zu nationalen Umschnürungen —
»Befreiungsversuche« nennen es die Beteiligten —,
Schmälerungen ihres lüsternen Wechsels, ihrer heftigen
Sprünge nach Frankreich, von England, nach Paris
und von London. Denn sicherlich: keiner der Neu-
bildner und Organisatoren »deutscher« Modebestre-
bungen glaubt ernstlich daran, auf eigenen Beeten den
Tanz der verwirrenden Mannequins jeden dritten
Monat fortsetzen, im Auf und Ab der »Nouveautees«
(die nicht mehr so genannt werden dürfen) volkswirt-
schaftliche Werke erster Ordnung erzeugen zu können.

Mit der Verdeutschung der Mode muß in ver-
nünftigem Zusammenklang die Verlängerung ihres Be-
standes verbunden, aus national-psychologischen Grün-
den, aus volkswirtschaftlicher Einsicht sozialer Not
für ruhigere Entwicklungsrichtungen gesorgt werden.

Handelspolitiker, Sozialpolitiker, Ethiker und die
immerhin breite Schar einsichtsvoller Künstler — sie
alle müssen zusammenstehen, die Richtlinien orga-
nischer Modebildungen festsetzen, dem wirtschaftlich,
sozialethisch und qualitativ (— künstlerisch) wertlosen
Unsinn allzueiligen, mit den Überlieferungen und
Formen dreier vergangener Monate launenhaft ab-
brechenden Modewechsel ein Ende bereiten helfen.
Aus schürfender Einsicht, aus beobachtender Fürsorge
ergibt sich dieses Verlangen. Nur einige Beispiele
zur Begründung:

In dem Berliner Jahrbuch für Handel und Industrie
1913 steht: »Gefärbte Strickwolle. Besonders un-
günstig lag während des ganzen Jahres die Phantasie-
branche, namentlich für Merinogarne, deren Absatz
auch noch durch die dem Artikel ungünstige Mode
erschwert wurde. — Wollfärberei. Weiter wirkte die
Mode hemmend, die in der Strumpffabrikation, durch-
brochene seidene Dessins bevorzugte. — Halbwollene
Trikots gingen auch im vergangenen Jahre zurück,
da der gegenwärtige Geschmack schwarze Plüsche mit
eingepreßten Mustern bevorzugte. — Plüsch- und
Krimmerfabrikation. Es stellte sich heraus, daß die
Mode speziell in Amerika die zuerst aufgenommenen

Persianer- und Krimmerartikel aufgab. Die sämtlichen
Dispositionen, die vorher getroffen waren, erwiesen
sich dadurch als falsch. — In dem Augenblick, wo
der Artikel »Wollplüsch« aufhört, die große Mode
zu sein, wird er vom Zwischenhändler fallen gelassen
werden. Die Fabrikanten aber, die in Erwartung,
ständige Abnehmer dafür zu finden, entsprechende
Einrichtungen zu seiner Herstellung getroffen haben,
werden plötzlich ohne Abnehmer sein und notge-
gedrungen den Markt mit Ware überschwemmen.—
Kpnfektionsstoffe und Tuche. Das Jahr 1913 muß
für den Handel mit Konfektionsstoffen als recht un-
günstig bezeichnet werden: Es brachte einen voll-
kommenen Umschwung in der Mode, die sich von
den buntgemusterten Artikeln gänzlich lossagte. Daher
erwiesen sich die Vorbereitungen der Stoffgroßhändler,
in deren Kreisen man fast ohne Ausnahme eine der-
artige Wendung nicht erwartet hatte, als gänzlich
falsch. Zahlungseinstellungen wurden durch die Ent-
wertung der Läger verursacht, die der plötzliche Mode-
wechsel hervorrief. — Auch für IQ14 dürfte größte
Vorsicht am Platze sein, denn die Moden werden
immer unbeständiger, und bei dem sprunghaften Wechsel
wird mehr riskiert als verdient werden kann. — Posa-
menten. Am schärfsten wurde die Posamentierwaren-
fabrikation durch den jähen Umschwung der Mode
betroffen, die die Posamentengarnierung in der Kostüm-
und Mantelkonfektion nicht zuließ.— Für die deutsche
Industrie kam noch als erschwerendes Moment hinzu,
daß die nun einmal herrschende Pariser Mode fast
nur solche Garnierungsartikel begünstigt hatte, die
Frankreich, wenn auch nicht allein, so doch am voll-
kommensten herstellt. — Die erhoffte Erhöhung des
Konsums in deutschen Spitzen und Stickereien, die
durch die amerikanischen neuen Zollgesetze bedingt
sein sollte, ist nicht eingetreten. Die Mode war auch
hier stärker als »alle politischen Verhältnisse und
Umwälzungen.« — —

Genügt das? Oder sollen der Gerechtigkeit zu-
liebe Beweise für die wirtschaftsbelebende Wirkung
des Modischen dem Ungläubigen erbracht werden? —
Auch dies gelingt. Der »Deutsche Konfektionär«
Nr. 657 schreibt über das Berliner Nachtleben: »Diesem
Leben, das aus rühriger Arbeit entsprossen ist, das
Geld im Umlauf hält und immer neue Luxusbedürf-
nisse erweckt, haben wir nicht zum mindesten den
gewaltigen Aufschwung der Berliner Modeindustrie
zu verdanken. Wenn die Berlinerin heute ebenso
geschmackvoll angezogen ist wie die Pariserin oder
Londonerin, so haben dies die Konfektionäre der
großartigen Entwicklung des modernen Lebens zu
verdanken, das man nicht in engherzige Polizeifesseln
schlug. Gegen die Unterdrückung des Berliner Nacht-
lebens muß die gesamte Geschäftswelt energisch Protest
erheben. Nicht nur die Millionen, die in Berliner

26
 
Annotationen