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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Luethgen, Eugen: Stilverwirrung im Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0113

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Anneliese Wildeman, Bonn

Mitte einer Tischdecke (Beschreibung S. 117;

Um so mehr, als die jetzigen Träger der Macht
dieses leuchtenden Scheines bedurften, um sich nach
außen hin das erwünschte Ansehen zu geben. Denn
die neuen Machtgeber und Herrscher, die neuen Träger
des Reichtums und der Kunst waren Emporkömmlinge,
die durch die Revolution aus der Tiefe an die Ober-
fläche getrieben waren.

Das neue Geschlecht ist sparsam; der Wunsch,
mehr zu scheinen, als man ist, war diesen Menschen
eine Denknotwendigkeit. Ein inneres Verhältnis zur
Kunst konnte sonach keine Geltung mehr besitzen.
Denn diese Emporkömmlinge hatten weder die Bil-
dung noch die Fähigkeit, durch das Auge zu seeli-
schen Erschütterungen gereizt zu werden. Der Kunst
aber konnten sie noch nicht entraten, um des eigenen
Machtbewußtseins willen.

So wurden dieser unkünstlerischen Zeit die Kunst-
formen die liebsten, die den außerkünstlerischen Re-
gungen entsprachen. In folgerichtiger Entwicklung
drängte alles auf die Antike, die aus Gründen der
Weltauffassung dem Ideal des neuen Weltbildes das
ansprechendste Sinnbild war. Denn es entspricht der
Wunsch und Wille nach der Formwelt der Antike
nur der bürgerlichen Sehnsucht des neuen Geschlechts.
Die Kunstformen sind nichts anderes mehr als Sinn-
bilder, als Reizmittel für eine Vorstellungswelt, deren
Erinnerungsbilder alle einen Gedanken umkreisen: die
neue Einheit einer freiheitlichen Lebensgestaltung. So
wird das Künstlerische durch die Anteilnahme am In-

haltlichen überwunden. Und je stärker die durch die
Form geschaffenen Erinnerungsbilder an die Gedanken
und Gefühle anklingen, die der persönlichen Zufalls-
bildung und der Anschauung der Zeit entsprechen,
um so beliebter ist die gewählte Form.

Den Sinn dieser Wandlung und das Geheimnis
des Erfolges erkannt zu haben, gebührt den Pariser
Baumeistern Percier und Fontaine. Percier wählte
eine Formensprache von strenger Einfalt. Seine
Schmuckformen entnahm er den besten Werken der
römischen Kunst. Damit traf er den Geschmack
Napoleons. Und er wurde neben dem Kaiser der
eigentliche Schöpfer der Kunst des Empire.

Perciers Nachahmer hatten nicht den an den Ge-
schmack der Vergangenheit geschulten Blick. Ein
Zeitgenosse Perciers berichtet aus dem Beginn des
ig. Jahrhunderts, daß der schlechte Geschmack, der
sich in der Kleidung zeige, sich auch in den Wohn-
räumen fände. Überall seien Nachahmungen von
allen möglichen Formen ohne allen Zusammenhang,
ohne jede Harmonie; neben schlecht nachgeahmten
griechischen Schmuckformen fänden sich etruskische
Vasen. Die Möbel aus Mahagoniholz seien pompe-
janischen Funden nachgebildet. — Allen Dingen fehle
es an Geschmack. Nichts sei angemessen, so faßt
Frau von Genlis 1818 ihr Urteil zusammen.

Die Sucht willkürlicher Nachahmung antiker For-
men wird in dem Augenblick zur unüberwindlichen
Gefahr, wo sich mit dem Verlust der künstlerischen

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