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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0234

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D. H. Burnham, Chicago
Geschäftshaus in
Michigan Avenue

Geschäftsraum d. Edison-

Phonograph-Gesellschaft

Chicago

vieles, was wir ernstlich zu bedenken haben. Der
gebildete Amerikaner hat in seinen äußeren Formen
starken Sinn für Qualität, der Mann wie die Frau.
Auf Körperpflege, Kleidung, Gebrauchsgerät, Bücher,
Wohnung und Haus pflegt er nicht nur Geld, sondern
auch Zeit und Liebe zu wenden. Er weiß echte
Stoffe und gediegene Werkarbeit zu bewerten und
sowohl daheim wie an den Bauten der Gemeinschaft
anzuwenden. Ich sah oft, wie eine vornehme Material-
wirkung selbst die banalste Zeichnung und Ornamen-
tierung wohltätig überstrahlte. Auch in der breiteren
Industrie und in mancher volksmäßigen Ware ist der
Zug zu schlichter Tüchtigkeit, der uns damals über-
raschte, nicht erstorben. So pflegen die Fabriken
von Bronzegeräten und anderem Hausrat neben den
kostspieligeren Stücken in alten Stilen eine besondere
Gruppe glatter Ware zu führen unter dem anspruchs-
losen Titel »Commercial«. Diese dort selbstverständ-
liche »Handelsware«, von der man überhaupt nicht
redet, ist nichts anderes als das, wofür wir in all
diesen Jahren mit großem Aufwand von Worten und
Taten haben kämpfen müssen. Auch in den riesigen
Lagerräumen der großen Möbelmagazine bewahrt die
wohlfeile Fabrikware aus Grand Rapids und anderen
Zentren der Holzindustrie ihre ansprechende Sachlich-
keit; etwas bewegter als vor zwanzig Jahren, in Einzel-
heiten nachgiebig gegen die altertümelnde Mode, aber
im Durchschnitt auch heute höchst anständiger Massen-
und Maschinenstil.

Auch der Buchdruck gibt einen Maßstab der land-
läufigen Geschmacksansprüche. Er ist nicht mehr, wie
damals, dem unseren überlegen. Weder die Schrift-
gießereien noch die Setzer, die Drucker, die Buch-
künstler haben mit den zahllosen neuen Kräften Schritt
gehalten, die wir neuerdings für Technik und Ge-

schmack im Buchgewerbe eingesetzt haben. Zeit-
schriften, aus denen wir damals lernten, halten wir
heute als Gegenbeispiele. Aber um die gediegenen
Papiere, die saubere Technik, den großzügigen Auf-
wand der Besteller, ja um einen verläßlichen Durch-
schnitt im Geschmack der Schriftbilder, des Satzes,
der Einbände können wir noch heute die Amerikaner
beneiden. Bewährte Fachleute pflegen auch das künst-
lerisch ausgestattete Buch mit schönem Erfolge, wie
der feinsinnige Drucker D. B. Updike auf seiner Merry-
mount Press in Boston, wie die Riverside Press des
Hauses Houghton, Mifflin & Co. in Cambridge u. a.
Ein feiner Kenner wie Bruce Rogers berät die größte
Schriftgießerei, die American Type Founders Company.
Der ehrwürdige Grolier-Club in New York sorgt noch
immer für alle Äußerungen der Buchkunst; ich nahm
an einer Sitzung teil, in der ein Rechtsanwalt die
Technik unserer alten deutschen Holzschnitte an den
köstlichsten Musterblättern aus seiner eigenen Samm-
lung mit gründlichster Sachkunde erläuterte.

Das wichtigste aber, was ich fand, war eine neue,
zeitgemäße Organisation für die Handwerkskünstler
des ganzen Landes. In Boston besteht seit mehreren
Jahren die Arts and crafts society als ein Mittelpunkt für
gute Einzelarbeiten. Der Bund zählte im Jahre 1913
gegen tausend Mitglieder, Männer und Frauen, Berufs-
handwerker und Kunstfreunde aus allen Staaten der
Union. In dem schönen geräumigen Laden stehen
persönliche Schöpfungen aller Art, bestes Silber, guter
Schmuck, Nadelarbeiten, Töpfereien, auch Möbel und
anderes. Ein Ausschuß aus Künstlern entscheidet über
die Zulassung; die gute Gesellschaft von Boston kauft
und bestellt in stetig wachsendem Umfang. Man
dachte daran, den Verkauf auch in anderen Städten
zu eröffnen und stellte die besten Stücke für die Welt-



tob

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