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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Jessen, Peter: Reisestudien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0236

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Flur eines Geschäftshauses

und ihren akademischen Vertretern gewonnen
hatten und nun daraus die Pflicht ableiteten,
ihre alte Hochschule und die Museen ihrer Stadt
an ihren Geschäftsgewinnen ergiebig teilnehmen
zu lassen. So standen als Geschenke eben dieses
Kreises schönste griechische Bildwerke in den
Antikensälen des Museums. So war für Spiel und
Sport das riesige Stadion in Harvard mit seinen
dreißigtausend Plätzen gestiftet worden. So fand
ich später in der Universität zu Berkeley an
der Bucht von San Francisco das herrliche
griechische Theater, auf dessen offener Bühne
und hohen Sitzreihen gegen zehntausend Teil-
nehmer unter kalifornischem Himmel ihre aka-
demischen Feste feiern.

Die Absichten und Aussichten der gestalten-
den Kunst in Amerika lassen sich am Kunst-
gewerbe allein nicht messen. Man muß, um sie
zu würdigen, vor allem die Baukunst ins Auge
fassen, ihre drei großen Gruppen: die öffentlichen
Gebäude, die Geschäftshäuser, das Landhaus.
Über die öffentlichen Bauten herrscht noch unumschränkt der am Klassizismus geschulte Stilarchitekt,
fast ausnahmslos aus der Schule der Ecole des beaux arts in Paris. Er hilft den Ruhm der französischen
Bau- und Dekorationskunst über die ganze Union hin verbreiten und wird zum tätigen Anwalt Pariser
Wesens. Wir sollten indeß nicht übersahen, daß diese akademischen, unpersönlichen Formen meist sehr
sicher und oft großzügig gehandhabt werden; wir müßten an unseren Hochschulen die stärksten und
reifsten Lehrer einsetzen, wenn wir unserer sachlich viel tiefer gegründeten neuen deutschen Baukunst zu
ähnlicher Weltgeltung zu verhelfen wünschen. Hier und da entsteht in Amerika aus amerikanischer Energie
und französischer Schule ein Bau von dauernd mächtiger Wirkung. Der stärkste war im Jahre 1913
gerade in seinem Inneren vollendet worden. Der gewaltige Bahnhof der New York Central Station liegt
mitten in der Stadt als Gegenstück zu dem gleich umfangreichen, nicht fernen Pennsylvania-Bahnhof. Ein
Riesenwerk zunächst der Ingenieurkunst und der Organisation. Ein Vorortbahnhof unten, ein Fernbahnhof
darüber; auf seinem Gelände 186 Häuser niedergelegt; alle Geleise (die Ferngeleise 305 m breit) neu über-
baut mit Straßen und Bureaugebäuden bis zu zwanzig Stockwerk Höhe; eine Kapitalsbewegung, die dem
Panamakanal nahekommt. Das Gebäude innen von hinreißender Raumwirkung; die hochgewölbte Mittel-
halle licht und weit wie ein Tempel; die Nebenhallen und Untergeschosse aus gleich edlen Steinarten in
schlichtester Gliederung; Bronzen, Möbel, Schriften von vollendetem Adel. Der plastische Schmuck zwar aus
französischem Geiste, aber geschmackvoll zurückgehalten; nur das Motiv der großen Tonnendecke, der
Sternenhimmel, eine Entgleisung in banale Lyrik, wie man mir sagte, ohne die Schuld des genialen Architekten
Whitney Warren. Ich setze dieses Beispiel hierher für viele im ganzen nicht wirkungslose, im einzelnen
gleichgültige öffentliche Gebäude, die ich an
Ort und Stelle oder in Plänen gesehen oder
unter den mehreren tausend Photographien für
unsere Bibliothek als Bild heimgebracht habe.
Aus letzterem geben die beifolgenden Abbil-
dungen einige Proben, meist Aufnahmen von
Henry Fuermann & Sons in Chicago und der
Detroit Publishing Company.

Mehr und mehr sind die amerikanischen
Architekten auch des Geschäftshauses künst-
lerisch Herr geworden. Der »Wolkenkratzer«,
berechtigt als Ergebnis der Raumnot auf der
schmalen Landzunge von New York, ist in
andere Städte von unbeschränkter Anbaufläche
eigentlich ohne zureichenden Grund übertragen
worden; augenblicklich wirft dieser brutale Ein-
dringling das alte Stadtbild des ehrwürdigen
Boston über den Haufen. Man muß den Ameri-
kanern zugute halten, daß sie das Stahlgerüst
von Anfang an mit gediegenen Baustoffen zu
umkleiden wußten. Aber die Formen sind mit

Frank Lloyd Wright, Chicago

Wohnraum

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