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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Jessen, Peter: Reisestudien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0237

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der

I

D. H. Perkins, Chicago

Vortraessaal

Ausnahmen bis in die jüngste Zeit hinein meist
noch geistlos nüchtern oder spielerisch bunt
gewesen. Erst im letzten Jahrzehnt gelingt es
immer besser, die riesigen Körper rhythmisch
zu gliedern, über einem oder mehreren kräftigen
Sockelgeschossen die Fensterflächen in Eckpfeiler
einzufassen und das Ganze durch gesimsartig
wirkende Obergeschosse abzuschließen. Die
frühesten und die reifsten Lösungen dieser Art
stehen in Chicago an der Michigan Avenue, der
majestätischen Prachtstraße am See, vor die sich
bald ein großartiger Uferpark lagern wird. Wie
denn überhaupt die Baukünstler von Chicago
und den übrigen Städten des Westens die frische-
sten und unabhängigsten des ganzen Landes
sind. Dort haben einige starke Persönlichkeiten
(Richardson, Sullivan, Burnham u. a.) schon vor
Jahren einer freieren Auffassung die Bahn ge-
brochen. Eine reichhaltige Ausstellung des Ar-
chitektenvereins, die ich im Art institute zu
Chicago offen fand, zeigte, wie mutig auch die
Jüngeren auf den Kern der Sache und auf neuzeitige Formen dringen. Die stimmungsvollen Bauten des
heutigen Vorkämpfers Frank Lloyd Wright sind durch ein in Berlin erschienenes großes Tafelwerk auch bei
uns bekannt geworden.

Die Landhäuser und das Landleben sind für die Kultur des heutigen Amerika so entscheidend wie die
Wolkenkratzer. Vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean haben alle Volksklassen ihrer begreiflichen Sehn-
sucht nach Luft und Licht und Natur eigentümliche Formen geprägt, vom indianerhaften Zeltlager des
jungen Geschlechts und der Sommerhütte des bescheidenen Bürgers bis zu den traumhaften Milliardärs-
villen längs der Küsten inmitten ihrer endlosen, üppigen Parks. Darin steckt alte Überlieferung. Die frühen
Ansiedler brauchten mit Grund und Boden nicht zu sparen und bauten ihre Farmen und Stadtsiedelungen
aus geräumigen Einzel- oder Reihenhäusern. Das Reihenhaus herrscht noch jetzt in den Wohnvierteln
des Ostens und wird heute besonders in dem altersstolzen Boston auch in den Einzelheiten auf die
Vorbilder des »Kolonialstils« gestimmt. In Boston sind die leitenden Architekten feinfühlige Anhänger
heimischer Tradition, nachdem die kühnere, mittelalterlich gerichtete Formenwelt ihres einstigen Führers
H. H. Richardson (1838—1886), eines wahrhaft schöpferischen Geistes, für überholt gilt. Dagegen sprach
ich in dem jugendlichen Chicago mehrere angesehene Baukünstler, die Deutschland und seine neuen Kunst-
kräfte gut kannten und leidenschaftlich darauf zielten, die amerikanische Architektur von den pariser »Beaux-
arts« ebenso wie von falsch verstandener Heimatkunst frei zu machen.

Eine echt landesgemäße Abart hat das amerikanische Landhaus im fernen Westen gewonnen, im süd-
lichen Kalifornien. Was ich dort sah, ist mir die größte Überraschung auf amerikanischem Boden gewesen.

Zwar tragen diese Villenstädte noch die Namen
der einstigen spanischen Missionen, wie Pasadena,
Monrovia, Santa Barbara und das rührige Los
Angeles mit seiner halben Million Bewohner,
aber in ihrer Anlage und Kultur fehlt jeder Rest
romanischen Wesens. Es ist ein angelsächsisches
Gartenland unter südlicher Sonne und dem
milden, stets leicht anfrischenden Hauche des
Stillen Ozeans. Dort ergab sich von selber
ein leicht gebauter Haustypus, oft nur aus Holz,
sonst aus Ziegeln mit weißem oder farbigem
Putz, für Luft und Sonne geöffnet, von Blumen
und Fruchtmassen farbig umflutet, sachlich und
modern im Sinne des englischen Tropenhäus-
chens, des bungalow. Anklänge an die älteren
spanisch-mexikanischen Bauten,den sog. Missions-
stil, sind nicht die Regel, sondern mehr um der
Reklame halber beliebt, wie in den geschickten
Bahnbauten der Santa-Fe-Route, des südlichsten
Weges nach dem Westen, der an dem Farben-
Geschäftszimmer eines Geschäftsleiters wunder des Grand Canon, des traumhaften

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