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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

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Jessen, Peter: Reisestudien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0238

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Riesen-Taleinschnittes in Arizona, vorüberführt. Die
luxuriösen Bauten im halbtropischen Florida, in denen
die südlichen Anregungen stärker mitsprechen, habe
ich nicht besuchen können.

Überall steht mit und neben dem Landhausbau
die Gartenkunst in hohem Ansehen, vom bescheidenen,
meist regelmäßig gestalteten Hausgärtchen bis zu
reicheren Anlagen und den mächtigen Parks, die einen
der stärksten Charakterzüge im Bilde des heutigen
Amerika ausmachen. Der Architekt des Hauses pflegt
das Gelände aufzuteilen; dann aber tritt der Garten-
architekt selbständig ein und weiß die mannigfachen
Möglichkeiten der amerikanischen Landschaft und
Pflanzenwelt mit meisterlicher Erfindungskraft zu
nutzen. Der Zugang aus dem Hause zum Garten
pflegt ebenerdig zu liegen. Terrassen, oft von reichem
Bau- und Bildwerk belebt, leiten über in die freier
gestaltete Umgebung, oft bis in die weite Landschaft
hinaus. Es gibt unzählige Abarten, von den meilen-
weiten Hügelparks der Milliardäre am Atlantischen
Ozean bis zu den immergrünen Anlagen im äußersten
Westen. Ich fand eine reich illustrierte Literatur nicht
nur über das Ganze, sondern selbst über die einzelnen
Gattungen und Typen; die Harvard-Universität unter-
hält im Anschluß an ihre Bauklassen eine eigene Schule
für Landschaftsarchitektur, der auch der Städtebau zu-
fällt. Denn noch eindrucksvoller als die Einzelgärten
sind die organisatorischen und künstlerischen Leistun-
gen der öffentlichen Gartenkunst; ihnen wird jeder
Freund gestaltender Arbeit, wo immer er kann, voll
hoher Bewunderung nachgehen. In New York fast
inmitten der Stadt der Central Park, 340 Hektar groß,
unweit die neue Prachtstraße am Hudson, gegenüber
einem Waldgelände, das reiche Bürger für vierzig
Millionen Mark zugunsten der Stadt angekauft haben,
drüben der schöne Prospect Park in Brooklyn und
draußen weitere Riesenflächen in den Vororten, auf
denen die ganze Bevölkerung der Stadt behaglich
lagern könnte. In Philadelphia der Fairmount Park,
der aus der Stadt unmittelbar in die Bergtäler der
Umgegend hinaufführt. In Boston ist durch den
Parkzweckverband von 39 Einzelgemeinden bis auf
18 Kilometer vom Mittelpunkt der Stadt hinaus ein
Zehntel allen Bodens mit Grünflächen verschiedenster
Art belegt. In Chicago rings um die Stadt und durch
die ganze Stadt hin verteilt etwa sechzig große und
kleine Parks voller Sporthäuser und Bäder und Kinder-
horte und Geselligkeitsräume, meist neuzeitigen Ge-

bäuden von bestem Geschmack. In San Francisco auf
einst ödem Gelände, das Werk nur eines Jahrzehnts,
ein unabsehbarer wechselreicher Park aus nur winter-
grünen Bäumen. Und so überall; mir schien dieses Park-
wesen die bewundernswürdigste und beneidenswerteste
Leistung des neuen Amerika. Wer dem Volk und
der Jugend auf diesen Sportflächen und Spielwiesen
zuschaut, muß sich gestehen, daß diese Nation ihre
Körper- und Willenskräfte zu stählen weiß, wie wir
es uns bisher kaum träumen. Ich konnte mich des
Eindrucks nicht erwehren, daß in solch frischer Luft
auch für das Geistesleben neue Grundlagen gewonnen
werden und nicht zum wenigsten für die Sehnsucht
nach einer frischen, gediegenen, sach- und zeitge-
mäßen Kunst.

Es ist freilich noch ein weiter Weg, vor allem bis
zu einer des Namens würdigen Mal- und Bildkunst.
Noch sind, so weit ich nur sehen konnte, die freien
Künste gefesselt in engem Akademismus und fader
Sentimentalität. Noch greift die amerikanische Gesell-
schaft, mehr von Frauen als von Männern geleitet, die
Probleme der Malerei und Plastik fast durchweg nur
mit jener kindlich naiven Begeisterung an, der man in
Amerika so oft begegnet. Man kargt nicht mit Auf-
trägen, auch monumentaler Art; man besucht die
Kunstausstellungen, schreibt und liest viel über sie
und kauft gefällige Ölgemälde; die Werke der wenigen
namhaften Maler älterer Schule werden bezahlt wie
die berühmtesten Franzosen. Aber für den euro-
päischen Kunstfreund ist die Ausbeute gering, ob er
die Literatur über amerikanische Künstler sammeln
mag, wie ich es für Berlin getan habe, ob er die
Ausstellungen der Akademiker oder der Futuristen
durchsieht oder in den Museen und in Privathäusern
nach großen Meistern sucht. Das reichste Talent aus
amerikanischem Geblüte, Whistler, ist einst nach Europa
ausgewandert. Augustus St. Gaudens, der begabteste
Bildhauer, fesselt mehr durch sein gallisches Pathos
als durch nachhaltige Tiefe. Unter den Lebenden,
schien mir, fehlt es noch völlig an überragenden Per-
sönlichkeiten. Noch ist alles Sehnsucht, Wunsch,
bestenfalls Wille. Mehr Kunsterziehung als Kunst-
leistung, mehr Zukunftshoffnung als Gegenwart. Aber
wollen wir Deutschen prüfen, wie wir drüben für
unsere Geschmackswerke Ansehen und Markt erobern
können, so ist uns das Morgen so wichtig wie das
Heute. Und dieses Morgen gehört der neuen Kunst.

PETER JESSEN.

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