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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 27.1915/​1916

DOI Artikel:
Beringer, August: Neue Schwarzwälder Volkskunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4828#0242

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weder bange zu sein braucht, wo-
her sie den Inhalt ihres Schaffens
zu nehmen haben, noch ob die liebe
Konkurrenz ihnen die Suppe, wie
üblich, versalzen wird.

Die Konkurrenz wird ohnehin
ausgeschaltet sein; denn die ganze
Leistung der Schnitzereiwerkstatt ist
aus rein schwarzwäldischem Geist
gewachsen. Mögen andere Land- und
Volksschaffen ähnliche Ziele verfol-
gen, so wird es aus dem Geist dieser
Land- und Volksschaft geschehen, also
auch ein Eigenes sein müssen. Es
wird der ganze sinngemäße Wettbe-
werb nur dazu beitragenden Charakter
der Bewegung zu stärken und ihren
Sinn in die Breite zu tragen. Aus
Arbeitsmaschinen werden Menschen
und Künstler, die froh und mutig
durch ihre Arbeit im Leben stehen.
Wollte man fragen, was denn nun der Schnitzer, der Maler oder der Töpfer zu leisten habe, so schwebt
uns die Goethesche Aufforderung vor: »Greift nur hinein ins volle Menschenleben, und wo ihrs packt,
da ist es interessant.« Der »Meister« der Organisation ist daran, die Modelle zu schnitzen, d. h. vorzu-
arbeiten. Diese »Modelle« sollen aber nicht sklavisch nachgeahmt werden, sondern eine Anregung sein,
individuell zu gestalten und weiterzubilden, wie es der Natur jedes Einzelnen gemäß ist. Stühle, Truhen,
Schränke, Zierfiguren, Wandtafeln dienen seinem künstlerischen Erlebnis. Alltagsgebrauchsgegenstände des
Besitzers, ein »Stück von ihm«, sind mit den Verdichtungen aus dem Leid- und Freudleben des Volks-
körpers geschmückt. Da ist die Hochzeit eines jungen Paares, das Kinderleben, die Familie, die Bauernschaft,
Arzt und Hebamme, Gasse und Wirtshaus, Handel und Verkehr das Studienfeld des Schnitzers wie des
Malers. Scherz, Ernst, Humor, Satire und tiefere Bedeutung kommen zu ihrem Recht, und der Werkmann
hat nur darauf bedacht zu sein, daß er immer charakteristisch und nie langweilig wird. Er will zum Volk
sprechen, zu einer Gemeinschaft, die gleich ihm fühlt, denkt und tut und sich wohl dabei befindet. Alles
Ästhetisierende, alle Richtungmacherei, alle Tendenz liegt ihm fern. Wenn er, wie der »Meister« in einer
stattlichen Folge von Figuren und Gruppen es getan hat, zu den gegenwärtigen Weltereignissen in derb
erscheinender Form Stellung nimmt, so macht er aus seinem Herzen und Hirn keine Mördergrube, ebensowenig
wie das Volk seinen Anfwallungen Dämpfer auflegt. Frisch von der Leber weg geht ihm Haß und Lieben.
Dieses Natürliche und Gesunde, das Unverbildete und Unverbogene seines Fühlens und Gestaltens, das
Treffsichere im Ausdruck ist sein Stil. Mit Bildungsstilen, kunstgewerblichen Musterkatalogen hat er nichts
zu tun. Er schafft sich und seine Welt. Damit knüpft die Schwarzwälder Volkskunst die zerrissenen

Fäden wieder an, die in der Uhren-
schildmalerei, in der Glasbläserei des
Hochschwarzwaldes, im Sittenbild der
Kirner, Knaus, Vautier, Hasemann und
in der Dorferzählung von Hebel über
Auerbach und Alb. Stolz bis zu Hans-
jakob verwoben sind. Jahrhunderte
altes Kulturgut wird wieder fruchtbar,
um ein in Fabrikhörigkeit verelenden-
des und verluderndes Volk wieder frei,
gesittet und wohlhäbig zu machen.
Daran mitzuarbeiten, sind alle berufen.
Meister, Landstände und Regierung,
Männer der Werkstätte, der Wissen-
schaft und der Kunst sind daran, diesem
Unternehmen ihre Kräfte zu weihen.
Sie stehen in verheißungsvollen An-
fangendem deutschen Volk — vorerst
zwar nur einem kleinen Teil — das
Beste zu geben: eine an materiellen
und inneren Gütern gesegnete Arbeit!

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