Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

DOI Artikel:
Palatinus, Wilhelm: Der Storche-Waddel: ein Lebensbild aus der Pfalz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0092

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
armes Mütterchen." Hier glänzte es feucht in seinen Augen. „Hilöe ist
ja das Musterbild einer Haussrau, unermüdlich tätig und selbstlos, wohl
ein bischen sehr resolut und prosaisch — aber da ergänzt sie mich
vielleicht recht zweckmäßig. Anser Ladengsschäft macht sich so nach und
nach. Der Papa starb im zweiten Jahr an dem vorschriftsmäßigen Schlag-
sluß nach einem Stiftungsfest seines Skatklubs. Ein bißchen knapp mit
lRaum wie mit Geld war's ja im Haushalt. Die Familienvermehrung
geht etwas sehr prvmpt: im ersten Hahr ein Jungs, im zweiten ditto, im
dritten Zwillinge. Hch geniere mich fast, aber du wirst's ja bemerkt haben,
's ist schon wieder was in Aussicht — hosfentlich steigert sich der Lie-
serungsmodus nicht so weiter zu Drillingen usw. Aber wenn ich aus das
Thema komme, fällt mir's Heimqehen auf's Gewissen — allerhöchste Zeit,
sonst wird's brenzlich!"

Hch zahlte und begleitete ihn getreulich bis an seine Haustür. Am
andern Morgen brachte er mich freundschaftlich zur Bahn: „Es war gar
nicht so arg, heute Äacht", beruhigte er mich, „ich sagte einfach: guten
Nbend, liebes Hildchen — alles übrige sagte dann sie; also reise glücklich,
alter Freund. und komme bald wieder, womöglich ehe die Drillinge da
sind!" Dabei schlug er mir feuchten Auges in überströmenöer Herzlichkei-t
so kräftig auf die Schulter, daß die Knochen krachten und stopfte mir noch
Meiseprvviant in Gestalt von vier Schinkenbroten und einer Riesen-
salami in die Rocktasche, dann machte er spornstreichs Kehrt, um seine
lRührung zu verbergen.

Nach Hause zurückgekehrt, hatte ich die kleine Episode im Drang von
Beruf und Geselligkeit sast vergessen, bis plötzlich im Frühjahr 1924 die
Kunde von der Tragödie in P. mich aufrüttelte: von der gedungenen
Separatistenbande unerträglich vergewaltigt erwehrte sich in einem Der-
zweiflungsausbruch die Dürgerschaft ihrer Folterer, wobei es ohne Brand
und blutige Opfer nicht abging. Mich packte eine innere Unruhe, und das
Dild Waddels trat immsr wieder vor meine Seele. 2ch arrangierte daher
rasch eine Berufsreise, die mich in seine Aähe brachte und eine zwei-
stllndige Bahnfahrtunterbrechung in P. ermöglichte. Ich eilte in das
bewußte Gäßchen — ja. meine Ahnung! Das Geschäft war geschlossen
„wegen Sterbefalls". Hn der Nachbarschaft erfuhr ich, daß bei dem Se-
paratistenstrafgericht sofort auch Waddel herbeigeeilt war, um irgendwie
zu helfen oder zu vermitteln. Ünbedenklich wie immer, wo es Hilfe galt,
will er einen verwundeten Bürger aus der Schußlinie tragen, — da trifft
ihn selbst ein mörderisches Geschoß, trifft ihn mitten in die wackere. un-
endlich liebevolle Drust. Er konnte nur noch der rasch herbeigerufenen
Hilde die Hand drücken und für alle erwiesene Liebe und Güte danken,
dann wandte er nochmals das Auge zur Sonne und flüsterte verklärt:
„Ach, das Leben war doch schön!", und ging hinüber in eine andexe Welt.

Mein Abschiedsgang führte mich auf den Friedhof an sein frisches
Grab; es lagen noch ein paar welke Totenkränze da, und ein Holzkreuz mit
seinem Aamen wackelte in der lockeren Erde; aber obsnauf wiegte sich ein
unscheinbares graues Dögelchen, das mich schiefköpfig so von unten an-
zwinkerte, dann mit den Flügeln schlug und ein innig-lustiges Lied in die
klare Himmelsluft trällerte. — War es ein Gruß von ihm?

74
 
Annotationen