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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Hermann, Georg: Wie ich auf Heidelberg kam
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0102

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unö zu Dauk verpflichtet. And das kain so. Zu Anfang der neunziger
(Zahre war ich die Stütze eines Durnvereins, habe sogar einmal eine von
mir dressierte Lehrlingsriege im Schauturnen vorgsführt. Don einer
Turnfahrt nach lRügen aber brachten zwei Durner einen jungen Archi-
tekten mil, mit dem sie sich unterwegs angefreundet hatten, und der zwar
zum Durner sich eignete wie ein Elefant zum Seiltanzeu, sonst aber ein
famoser, gebildeter und Wnstlerisch reichbegabter Mensch war, der dem
Dichter Mombect, Strauß, Dehmel und dem Friedrichshagener Kreise
ncthestand. Und als wir herausfanden, datz uns ähnliche Interesfen ver-
banden, freundeten wir uns an, und unsere Bsziohungen wurden durch
Jahre weiter brieflich aufrecht gehalten. Als es mir' aber einmal, wohl
1896/97, seelisch und materiell sehr übel ging, lud er mich in den Maitagen
zu fich ein nach Heidelberg.

Er wohnte in der Dohrbacher Stcatze. Damals aber war noch
drüben alles frei, und man konnte fern in der Ebene manchmal das
Münster von Speyer sehsn. Diese Frllhlingstage in Heidelberg — nicht
mehr als zwei Wochen — an die sich eine Meise durch die süddeutschen
Galerien und alten Städte anschlotz... denn damals msinte ich ss noch
ernst mit der Kunstgeschichte!... sind bestimmend für mein ganzes wei-
teres schriftstellerisches Schaffen geworden. Wohl gemerkt: nur die Heidel-
berger Zeit! Ich erinnere mich an ein mir ganz fremdes Dlühen von
Goldregen, Glyzinen, Flieder, Aepfel und Rotdorn und Kastanien...
an unerhört milde Monönächte, in denen es leise von den eben begrünten
Duchenwäldern der Derge herunterwehte,... an Maibowlen unter Lam-
pions in einem ausgeräumten Glashaus einer Gärtnerei,... an die beinah
südliche Llcppigkeit der Dergstratze... und all das fchuf mir — bleibend
und von Dauer — eine merkwürdige Llmstellung. Ich begann plötzlich
meinen kargen und norddeutschen, sich seines Gefühls schämenden und es
verbergenden Realismus farbig zu unterbluten. Jch möchte sagen: ich
bekam den Mut zur seelischen Farbe und zur wirklichen Farbe der Land-
schaften, wie der Hintergründe. Ich schrieb kleine Aovellen, wie „Aacht-
gebet", „Lränen", „Wert des Lebsns" (einiges davon hat sich aus ver-
schollenen Bänden in die Gesammslten Werke hinübergerettet) die eine
völlige Abkehr von dem kargen Latsachenstil und der Gefühlszagheit, der
vorhergegangenen, bedeuteten. Jch hatte meine Seelevielleicht nicht ent-
deckt, aber ich hatte den Mut bekommsn, ihr Worts zu leihen, weil ich
erkannt hatle. dah sie im Süden weniger verhüllt ist, mehr durch Men-
schen und Dinge Hindurchschimmert, als im kahlen und überwirklichen
Norden.

Mein Heidelberger Freund war der erste, der diese Wandlung fühlte;
und er schrieb mir, datz er sich freue, weil dieser kurze Ausenthalt so gute
Zinsen für mich getcagen hätte. 2m „Wert des Lebens" steht inmitten
einer Studentenversammlung, in der sehr rationalistisch mit liberaler
Ideologie über den „Wert des Lebens" diskutiert wird... zwischen all
den klaren und altklug-selbstzufriedenen jungen Leuten, die da glauben. die
Probleme gelöst zu haben... steht da plötzlich ein junger Duchhändler
auf,... und schreit sich seine Sehnsucht, seine plngewißheit, seine ltlnklar-
Heit, sein Mchtzurechtfinden auf dieser fraglichen Erde, seine ganze tiefe

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