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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Sommer, Lina: Speyerer Jugenderinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0107

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sie m den Korb und gab ihm eine Tafel Schokolade. Dies tat dem jungen
Mann offenbar sehr wohl, und da „'s Malche" auch ein bildhubsches
Mädel war, streichelte er ihr die Wangen und sagte: „se voas aime".
„Abba, nix do". rief 's Malche. „ich bin noch lang nit Jhne Ihr
Schewusäm."

Nun ein anderes Bild. lZeden Abend anno 1870 sahen wir — die
Grohmutter. die Eltern und wir Kinder — beim Schein der Petroleum-
lampe, die damals noch eine Aeuheit war und als feuergefährlich galt,
am runden Tisch beisammen zum „Scharpiezoppe" (Charpiezupfen). Da
hatte jedes ein leeres Zigarrenkistchen auf dem Schoß und zupfte die
kleinen Leinwandläppchen in einzelne Fäden hinein. War das Kästchen
gefüllt, dann wurde die Charpie in einen grohsn Sack geleert, der
dann, wenn er ganz angefiillt war.was lange lange Zeit in Anspruch nahm.
in das Lazarett gebracht wurde. Wieviel Anreinlichkeit und. Krankheits-
stoff mag. als man die Watte noch nicht hatte, in die Wundsn
eingeführt und übertragen worden sein durch nicht einwandfreie Lein-
wand und schmutzige Hände und Finger, „malpropre Dotsche" wie unser
Großmütterle sagte.

Da fällt mir eben eine Mitschülerin ein, sie hieß Anna Schuster, Lie
verstand es gut, unsere patriotischen Herzen mit Schauder und Grausen
zu erfüllen. Ich habe schon srüher davon in meinem Duch „Vun allem
ebbes" erzählt, wie sie eines Morgens behauptete: .„Auf Ehr und Selig-
keit, ihr därft mer's glawe, wann die Franzose rüwer kumme iwer die
Rheinbrück, dann marschiere se grad uf unser Schulhaus los, un schliehe
fescht zu. dah niemand dorchbrenne kann. An dann gehe se in alls Klasse
un ziehe ihr Säwel raus un dhun jedem Herr Lehrer un jedem Kind de
Kopp absäwle! An dann nemme se e allmächtig grohi Schnur un Pack-
nodle un dhun alle Köpp einfädle — immer vornedran de Herr Lehrer
un dann dis ganze Klass', un dann wieder 'n Herr Lehrer un wieder e
Klass'. Hn öie rechte Aage schteche se enei — zu de linke wieder eraus un
binne de Schnur mit 'me seschte Knüppel zamme un hänge se wie e Perl-
kett um de Dum erum."

Als ich vor lauter Gruseln bei dieser Dorstellung lachen muhte, sagte
sie beleidigt: „Ia, lach du nur, du änfältige Gambel du, ich seh dein Kopp
schun henke un bamble."

Eine gewisse Lragik hatte es mit einer anderen Mitschülerin; sie war
ein armes, blasses Mädchen und hieß Striegel. 2hr Vater war mit in
den Krieg gezogen, hatte — was streng verboten ist — aus Dorposten
geraucht, wurde von einer Patrouille überrascht und zur Strafe stand-
rechtlich erschossen. Wie mußte die arme Striegel das Vergehen ihres
Vaters bühen! Wir taten ihr allen möglichen Schabernack an — keine
Schülerin wollte mehr neben ihr sitzen, die allerpatriotischsten spuckten
sogar vor ihr aus, — bis schließlich. der Lehrer dahinter kam und uns
tüchtig die Leviten las. Er sagte, wir sollten uns schämen, wir sollten
dem armen Mädchen, das eine kranke Mutter, vier kleine Geschwister und
oft nicht das Brot im Hauss hätte, alles zu lieb tun, was in unseren
Kräften stehe und auch unseren Eltern von den traurigen Verhältnissen
erzählen. — Hatten wir früher geschwelgt, die Striegel als Ausgestohene

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