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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Sommer, Lina: Speyerer Jugenderinnerungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0108

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zu behaudeln, so wetlelferten wir jetzt, ihr Freundlichkeit und Güte zu
erweisen. Wie leicht ist ein Kinderherzel im Guten und Bösen zu beein-
slussen und welche Macht, aber auch welche Derantwortung liegt in den
Händen der Lehrer und Srzieher!

Unsere alte Bawett — das Faktotum im Haus — möchte ich auch
noch erwähnen: sie erstickte, „verstickte" beinah an ihrem eigenen Pa-
triotismus. Man wuhte es schon und dcückte ein Auge zu, daß sie —
sonst die ehrlichste Seele von der Welt — alles krippste, was nicht nieti-
und nagelfest war, wenn sie glaubte, einem „armen Derwundeten" damit
eine Freude zu machen. Es war am Tage der Schlacht bei Sedan; alle
Herzen horchten bang auf, die Gefangennahme Aapoleons war noch nicht
offiziell bekannt — da kam die alte Magd mit dem Henkelkorb im Arm,
krebsrot im Gesicht, die Treppe hinauf, — lief in die Küche, lietz sich auf
einen Stuhl fallen, fuchtelte mit den Händen herum und ries in allen Ton-
arten: „Se häwe'nen (sie haben ihn), se häwe'nen — und ich sags nochemol
se häwe'nen!"

Hch dachte, es wäre auf der Strahe ein durchgebrannter Sträfling
eingefangen worden — das ist so ein interessanter Fall für ein Kinder-
herz — und sagte ungeduldig: „Bawett, wen häwe se, — wen häwe se,
redd doch."

„Du brauchst aa noch zu fcoge", schnauzte sie mich an; „wen werre se
häwe, de Aabolium häwe se!" .

„Awer Vawett, die Glocke läute jo noch gar nit, is es dann wahr-
haftig wohr?" Da holte sie im pleberschwang der Gefühle (etwas mußte
sie ja anstellen) weit aus und versetzte mir eine Ohrfeige, dah mir Hören
und Sehen verging. Bald darauf läuteten dann auch die Glocken, die
Fahnen stiegen auf, jubelnde Menschen lagen sich in den Armen, und
unsere Dabette triumphierte: „Gell, ich hab's gewiht, dah se'n häwe, — ich
hab's vun Sedan her geroche."

„Kää Wunner, wann mer so e grohe Nas hat wie du", stimmte ihr
mein Bruder bei.

Deim Friedensfest 1871 spielte die sogenannte „Dummschüssel"
— Domschüssel — Domnapf in Speher eiue große Molle. Schon in
früheren Zeiten wurde sie bei besonders festlichen Gelegenheiten (Kaiser-
besuch, Turnier, Bischofweihe) bis an den Mand mit Wein gefüllt, an
dem sich die Gäste und Dürger ack libitum glltlich tun konnten. Ein ganz
besonders guter Tropfen soll in ihr geblinkt und gewinkt haben im
Jahre 1652, als Lothar von Metternich in Speyer als Dischof einzog,
und dann im Hahre 1861 beim Domfest.

Desagte „Dummschüssel", der Steinkoloß, wurde beim Friedens-
fest'1871 auf den Platz vor dem Dom transportiert, mit Wein gefüllt (das
letztemal, seither nicht mehr), und nachdem der Festzug vorbei war.
wurden auch die Schulkinder hingeführt, um eineu Trunk daraus zu tun.
Obwohl er mir heute noch schmeckt, möchte ich doch nicht mehr mithalten,
wenigstens nicht unter den dmnaligen Derhältnissen, denn es ging, in
all der glühenden Begeisterung, sonderbar zu. Jeder Lehrer — seine
Klafse um sich versammelt — hatte einen grohen Decher in der Hand,
aus dem er die Kinder der Meihe nach trinken ließ. War der Decher leer.

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