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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 4.1928

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Hoenninger, Waldemar: Neckargemünder Originale
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https://doi.org/10.11588/diglit.29785#0111

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NeckargemUnder Originale

Von Dr. W. Hoenninger-Heidelberg

Jhr bringt mit euch die Vilder froher Tage,
Llnd manche lieben Schatten steigen auf.

Goethe.

Iahrelang haben die Gestalten, von denen später die Reds sein wird,
meinen Geist beschäftigt. Nnd wenn ich sie diesmal festhalte, so ist das
kein Zufall; ich möchte es mnere Notwendigkeit nennen. Denn nach was
fehnen wir Modernen uns anders — als nach jener Einfalt und Einfach-
heit, die unsern Doreltsrn noch eigen war, als nach jsnen Menschen, die
Lurch ihren Mutterwitz und Humor uns die trüben Wolken der Alltags-
sorgen verscheucht haben, als nach jenen Leutchsn, die in ihrer Armut des
Geistes und der Güter unendlich viel glücklicher waren als wir Zeit-
genossen. Gibt es überhaupt noch glückselige Menschen?

Ich hege nun die Aeberzengung, daß es in meinec Iugendzeit in
meiner Daterstadt Deckargemünd keine zufriedsnere und glücklichere Bür-
ger gegeben hat — als diese Käuze und Originale, diese großen Kinder
und Tolpatsche, diese Wißbolde und Poeten, die sorglos dahinlebten, und
die nie die nervenzerrüttende Umwelt des heutigen Stadtbürgers kennen-
gelernt haben.

Dach diesen Menschenkindern hatte ich Sehnsucht, und dieser Sehnsucht
entsprangen die kleinen Skizzen, die ich von jenen entworfen habe. Wohl-
an, sie mögen walten, und uns einige Augenblicke vom Dunst und Nebel
des Alltags besreien!

Der Zwerg „HLNnesfriederle" (Schwedenkönig).

Am meisten Beachtung bei uns Kindern fand in öen achtziger Iahren
ein Zwerg „Hannesfriederle" (Iohannes Friederich), auch „Schwed" oder
„Schwedenkönig" genannt. Der Mann wohnte mit seiner ebsnso zwerg-
haften Schwester zuerst in der Aähe der alten katholischen Kirche im
Karl'schen Haus, später im Pfluggäßchen Nr. 7. Sein Zimmer hier
war schwarz verrußt und hing voll von ausgestopften Dögeln; außerdem
besaß er eine Sammlung Tonpfeifen, die uns Buben ordentlich in die
Augen stach. Die Pfeifen scheint er selbst angefertigt zu haben und rauchte
daraus selbstverständlich vom besten Pälzer Duwak. Der Schwed war
sonst ein ordentlicher Kerl und ein groher Kinderfreund. Er war Schirm-
flicker von Beruf und machte sonst noch allerlei: er malte in den Wirt-
schaften Bilder an die Wände, fing Dögel, verkaufte disselben oder stopfte
sie aus, Hänfling und Distelfink. Zeisig u. a. m. waren bei ihm zu sehen.
Er spielte den Barbier, vsrfertigte Tonschäfchen und Gartenhäuschen
als Weihnachtsschmuck unter den Tannenbaum. Mit einem kleinen zwei-
räderigen Karren holte er sein Holz aus dem Walde, Kartoffeln zuweilen
auch auf den Feldern seiner lieben Debenmenschen. Gute Leute ver-
sorgten das Geschwisterpaar vielfach mit Speise und Trank.

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