Lehrs, Max [Hrsg.]: Geschichte und kritischer Katalog des deutschen, niederländischen und französischen Kupferstichs im XV. Jahrhundert (8, Textbd.): [Der Meister des Hausbuches und die oberdeutschen Stecher] (Wien, 1932)

JÖRG SYRUN DER JÜNGERE

Es ist ein sonderbares Spiei des Zufalls, daß das allbekannte Mono-
gramm ^ g unter dem Aufriß eines gotischen Weihbrunnkessels,
das Bartsch schon im VI. Band seines Peintre-Graveur p. 314, nach
ihm Nagler in den Monogrammisten' und Willshire^ abgebildet hatten,
bis vor etwa 50 Jahren nicht richtig erklärt werden konnte, obwohl
auch damals schon genügend viel über den großen Ulmer Meister ver-
öffentlicht worden war und der Gegenstand der Darstellung wie die
absolute Übereinstimmung des Meisterzeichens eine Identifizierung
mit ihm nahegelegt hätten.
In dem Ulmer Chorgestühl, das laut Inschrift Jörg Syrlin der Äl-
tere von 1469 bis 1474 fertigte und das man wohl mit Fug als die
Höchstleistung der deutschen Plastik in der zweiten Hälfte des XV. Jahr-
hunderts ansehen kann — trotz Veit Stoß und Tilman Riemenschneider,
war ein Typ geboten, der auch auf anderen Kunstgebieten leicht wieder-
zuerkennen gewesen wäre. Die Erfindung des Weihbrunnkessels im
Münster wurde sogar traditionell dem jüngeren Jörg Syrlin zugeschrie-
ben und es hätte wahrhaftig nahegelegen, den von Bartsch beschriebenen
Kupferstich der Wiener Hofbibliothek, an dem nur der Grundriß noch
fehlte, erst einmal mit dem Weihbrunnkessel im Ulmer Münster zu
vergleichen. Monogramm und Werkzeichen stimmten genau mit denen
Jörg Syrlins des Jüngeren überein, wiesieaus seinenBildschnitzer-
arbeiten vielfach bekannt sind. Aber auch der jüngere Bartsch s nahm
das Monogramm lediglich als ein Steinmetzzeichen und versuchte keine
Deutung desselben.

1 Bd. IV. Nr. 399.
2 Catalogue of early Prints in the British Museum vol. II. p. 253. I. 35—36.
3 Die Kupferstichsammlung der K. K. Hofbibliothek in Wien (1854) Nr. 1554.