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ERSTER TEIL

sich fast ausschliefjlich auf Porträts und wir wollen uns
zunächst mit diesen beschäftigen. N. B.: Böcklin sah
bekanntlich das Porträt als eine untergeordnete Kunst-
gattung an, und man könnte daraus schliegen, dag die
Untersuchung seine Bildnisse nicht als Material benutzen
dürfe. Dem widerspricht einmal die Einsicht, dafj die
grundsätzliche Anschauung von dem Unwert des Porträts
als Kunstgattung gerade schon ein Argument nicht gering
zu schätzender Art gegen Böcklin darstellt, da die Folge
solcher Anschauung in letzter Instanz genau alle die
Gründe umfagt, die gegen ihn entscheiden. Weiter steht
solcher Anschauung die tatsächliche Existenz vieler Bild-
nisse von seiner Hand gegenüber. Endlich fügen sich
diese durchaus organisch in das Werk Böcklins ein.

Die Nationalgalerie besitzt nicht weniger als vier
Bildnisse: das Porträt des Kammersängers Wallenreiter
aus dem Anfang der sechziger Jahre, das des Bildhauers
v. Kopf aus 1863, das berühmte Selbstbildnis mit dem
fiedelnden Tod, datiert 1872, und die Dame im violetten
Sammetkleid aus dem Jahre 1879; vier Bilder, die eben-
soviel deutliche Etappen in dem Niedergang Böcklins dar-
stellen. Gemalt, d.h. aus gesundem künstlerischen Bewugt-
sein entstanden ist nur das frühste von ihnen; das zweite
und dritte zeigen die Zerrissenheit der Übergangsepoche;
das vierte den endgültigen Verzicht auf Kunst, das Sta-
dium des Populären.

Der Kammersänger ist keine umstürzende Genietat,
aber eine organische Schöpfung, die man ohne jeden Ver-
zicht auf das Andenken grögerer Meister schätzen kann,
 
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