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Kintzinger, Martin; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Westbindungen im spätmittelalterlichen Europa: auswärtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds — Mittelalter-Forschungen, Band 2: Stuttgart, 2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.8246#0331

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Neubeginn. Frankreichpoiitik seit 1422

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aufwendigen diplomatischen Missionen, die vom Hof Karls VII. seit der Mitte der
zwanziger Jahre ausgingen, waren allerdings weniger die Ergebenheitsadressen an
Sigmund als vielmehr die praktischen Schritte einer Aussöhnung mit Burgund zu-
kunftsweisend. Erst ihr erfolgreicher Abschluß mit dem Vertrag von Arras 1435 bot
ein wirksames Instrument, den englischen Einfluß in Frankreich zurückzudrängerG*
Zusammenfassend bleibt nochmals festzustellen, daß König Karl bald nach sei-
nem Regierungsantritt und trotz eigener Schwierigkeiten im Inneren daranging, di-
plomatischen Kontakt zu Sigmund aufzubauen. Wenn auch nicht an zentraler
Stelle, fügt sich dies doch in sein Bemühen, die eigene Königsherrschaft nach innen
wie außen anerkennen zu lassen. Anders als Heinrich VI., rechnete er mit Sigmund
als politischer Größe. Daß er damit über den aktuellen Anlaß hinaus plante, zeigt
die Sorgfalt, mit der seine diplomatischen Missionen ausgeführt wurden. Eigens
ließ er den literarisch begabten Gesandten Chartier Traktate verfassen, die Sigmund
zeigen sollten, daß er dessen Probleme kannte und teilte. Wie Heinrich von Eng-
land, wollte und konnte er angesichts der eigenen Lage nicht wirklich mit Sigmund
gegen die Hussiten ziehen. Im Grundsatz ging das Hussitenproblem aus französi-
scher Sicht auch über ein Reichsanliegen nicht hinaus.
Dennoch nutzte Karl den brisanten Gegenstand, um seinem Verständigungs-
willen Ausdruck zu geben. Es ist durchaus denkbar, daß in diesem Rahmen auch
nähere Kenntnis über die für Frankreich so bedeutsame Jungfrau an den deutschen
Hof übermittelt wurde. Besser konnte man zudem nicht aufeinander beziehen, was
Sigmund und Karl zur selben Zeit am heftigsten bewegte - der Kampf gegen die
Hussiten im einen, derjenige gegen die Engländer im anderen Fall. Daß beides
tatsächlich nichts miteinander zu tun hatte, stand dem nicht entgegen. Gerade des-
halb war Karls Diplomatie gegenüber Sigmund ein Meisterstück der Propaganda
zwischen den Höfen. Nicht zuletzt transportierte sie dezent eine eindeutige politi-
sche Botschaft: in Wahrheit gemeinsam gegen die Engländer zu stehen.
Heinrichs VI. Rechtfertigung für den Tod der Jungfrau hatte dem in Inhalt und
Stil nichts entgegenzusetzen. War das Verhältnis zwischen Heinrich und Sigmund
von beiderseitiger Interesselosigkeit gezeichnet, so stellt sich die Beziehung Karls
zu Sigmund anders dar. Sie zeigt einen zunächst anscheinend einseitigen Willen des
französischen Königs, sich dem erwählten Kaiser anzunähern. Es ist daher zu un-
tersuchen, ob sich dieser Eindruck während der folgenden Jahre bestätigen oder än-
dern sollte.

92 Vgl. zum Hintergrund Armstrong, La double monarchie, passim. Die erregte Reaktion auf Ar-
ras in England beschreibt Leguai, La »France bourguignonne«, S. 51. Awerbuch, Motivation,
S. 83-88, zeigt, wie sich Philipp von Burgund schon bald nach Abschluß des Vertrages von Troyes
aus seiner Bindung an England zu lösen begann. Dabei spielten seine niederländischen Interes-
sen eine große Rolle, auch die Ereignisse um die englische Heirat Jakobäas von Bayern und nicht
zuletzt die Tatsache, daß Karl VII. unerwartete Stärke zeigte. Zur Bedeutung des Vertrages von
Arras Müller, Karl VII., S. 329: »Arras hatte im Grunde die englische Niederlage besiegelt.«
 
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