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Fößel, Amalie; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Königin im mittelalterlichen Reich: Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume — Mittelalter-Forschungen, Band 4: Stuttgart, 2000

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https://doi.org/10.11588/diglit.26280#0407
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nur negativ als Machtverlust zu interpretieren. Denn die Schaffung verschiedener
Ämter und Hierarchien entlastete das Königspaar, dessen politische und repräsen-
tative Funktion im Spätmittelalter eine neue Qualität erhielt.
Es scheint, als ob sich Königinnen im späten Mittelalter mehr denn je ihre indi-
viduelle politische Autorität und entsprechende Handlungsspielräume selbst schaf-
fen mußten. Diese Entwicklung ist vor dem Hintergrund der »Miseren« und des ste-
ten Machtverlustes des spätmittelalterlichen Königtums mit den wechselnden Dyna-
stien zu sehen, wobei es nicht mehr gelang, Kontinuitäten zu schaffen. Berücksichtigt
man die Tatsache, daß das Königtum reichspolitisch einem enormen Machtverfall
ausgesetzt war, scheint es wenig verwunderlich, daß auch das »Amt« der Königin
nicht mehr in seiner hochmittelalterlichen Ausprägung realisiert werden konnte.
Andererseits machten die veränderten Rahmenbedingungen für das Königtum
eine andere und neue Art der Herrschaftsausübung der Königin notwendig und
möglich. Denn sie war keineswegs grundsätzlich von der Herrschaft ausgeschlos-
sen, wie das am Beispiel der Elisabeth von Görz-Tirol und der Barbara von Cilli
gezeigt werden konnte. Deren Herrschaftsausübung hatte sich jedoch in die Rand-
gebiete des Reiches, in die Haus- und Erbgüter als der eigentlichen Machtgrundlage
des spätmittelalterlichen Königtums verlagert. Die Königin bestimmte nicht mehr
die zentrale Reichspolitik mit, sondern regierte in Abwesenheit des Königs be-
ziehungsweise Kaisers das jeweilige Hausgut.
Auch in einer zunehmend durch rechtliche Ansprüche definierten politischen
Wirklichkeit wurde nicht der informelle, individuell freilich unterschiedliche Grad
an persönlicher Einflußnahme auf den König, die Fürsten und andere Herr-
schaftsträger tangiert. Dieser aufgrund persönlicher Nähe zu einer Vielzahl von
Herrschaftsträgern mögliche Einfluß dürfte sich in einem nur geringen Ausmaß in
den Quellen niedergeschlagen haben und muß für jede Zeit als mehr oder weniger
erfolgreiches Instrument politischer Mitwirkung veranschlagt werden. Dabei ist
nicht zu vergessen, daß die Königin als Verbindungsglied zwischen dynastischen
Netzwerken fungierte. Tendenzen einer instititutionellen Verfestigung ihres Ranges
lassen sich in der Zeit des Spätmittelalters für den Bereich der Repräsentation fest-
machen, die einen ungleich größeren politischen Charakter gewonnen hat.
Die politische Stellung der Königin und der Grad ihrer Herrschaftsausübung
hatte sich im Verlauf des Mittelalters über verschiedene Entwicklungsstufen hin-
weg enorm verändert. Das Bild der hochmittelalterlichen cc^scrs mgnz war in der
politischen Realität des späten Mittelalters weniger präsent; es konnte nicht mehr in
der gleichen Ausprägung wie im hohen Mittelalter aktualisiert werden. Dabei hatte
sich die Qualität des »Königinnentums« insgesamt verändert. Doch die For-
schungsthese vom »politischen Schattendasein« der Königin im Spätmittelalter
übersieht, daß Macht inhaltlich und graduell unterschiedlich zu definieren ist und
an den veränderten Rahmenbedingungen gemessen werden muß. Die kleiner ge-
wordenen Handlungsspielräume und eingeschränkten Möglichkeiten einer aktiven
politischen Gestaltung des spätmittelalterlichen Wahlkönigtums im Reich wirkten
sich in verstärkter Form auch auf das »Amt« der Königin aus, die immer in rechtli-
cher Abhängigkeit zum Rowanomm Rex stand und derer politische Autorität weit-
gehend der Akzeptanz der Fürsten bedurfte. In der konkreten Realisierung redu-
zierte sich die politische Einflußnahme der Königin. In den früheren Jahrhunderten
hingegen erscheint sie in einem großen Maße geglückt.

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